ein Gastbeitrag von Übersetzer Dr. Berthold Forssman
Das Übersetzen von Filmen umfasst höchst unterschiedliche Gewerke und hat zahlreiche Facetten, aber es gibt ein Schlagwort, das die meisten Bereiche einigermaßen zusammenfasst: Verknappung. Für mich gilt das schon alleine deshalb, weil Texte in meinen Arbeitssprachen Schwedisch, Isländisch, Litauisch, Lettisch und Estnisch im Deutschen in der Regel länger werden. Aber nach einem Schnitt oder wenn die Schauspielerin ihren Mund schon geschlossen hat, darf natürlich nichts mehr zu hören oder zu lesen sein.
Ist Filme übersetzen womöglich einfacher oder weniger anspruchsvoll als das Übersetzen von Literatur? Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht so, als würden die doch eher knappen und oft alltäglichen Dialoge weniger Arbeit machen. In der Tat, mit Schachtelsätzen, Endloswörtern, eigenwilligen Konstruktionen oder kaum noch bekannten Wörtern muss man sich nur selten herumschlagen. Dafür fehlt die Möglichkeit, mit Kommentaren, Erklärungen oder umfangreichen Umschreibungen zu arbeiten.
Ob es nun um die Übersetzung für eine Synchronfassung oder um Untertitel geht: Oft müssen schwierige Sachverhalte massiv heruntergebrochen werden, ohne dass der Sinn verloren geht. Wer einmal einen Text hat kürzen müssen, kennt das Elend.
Aber auch und gerade besonders kurze Wörter und Sätze können für Kopfzerbrechen sorgen. Dass schwedisch „sosse“ als Kurzform für „Sozialdemokrat“ steht, wusste ich natürlich, und im Deutschen haben wir praktischerweise dafür die Entsprechung „Sozi“. Aber ich erinnere mich beispielsweise an eine Szene aus einem litauischen Film, in der der Protagonist einen Tankstellenshop betritt und nur „drei“ sagt. Da das Litauische keine Artikel hat, musste ich lange grübeln, bis ich darauf kam, dass er „die drei“ meinte – und zwar die Nummer der Zapfsäule, an der er gerade getankt hatte.
Überhaupt: Das Übersetzen von Filmen erfordert genauso viel Fingerspitzengefühl oder Hintergrundwissen wie das Literaturübersetzen. Wie sieht es mit dem Duzen und Siezen aus, mit Titeln oder der Anrede? Wie gebe ich auf die Schnelle die Namen von Behörden oder von Lebensmitteln wieder, die es bei uns gar nicht gibt? Wie kann ich Zweideutigkeiten und Anspielungen so knapp verpacken, dass ihr Witz trotzdem erhalten bleibt? Dafür müssen wir Filmübersetzer mindestens genau so viel recherchieren. Umgangssprachliche Wendungen, spezielle Codewörter, Jugendsprache, Slang, tagesaktuelle Ereignisse, verknappte Bezeichnungen: Für meine kompetenten Kolleginnen und Kollegen beim größten Branchenverband AVÜ e.V. gehört das zum täglichen Brot.
Aus eigener Erfahrung sage ich deshalb: Soll das Endprodukt qualitativ hochwertig sein, lässt sich das Übersetzen von Filmen ebenso wenig mit KI erledigen wie das Übersetzen von Literatur. Und noch etwas eint uns: der Einsatz für angemessene Honorare!
Wer mehr über mich, meine Länder und meine Erlebnisse als Übersetzer erfahren will, kann gerne meinen Blog besuchen:
www.forssman-uebersetzer.de/blog
Mehr über Dr.Berthold Forssman und sein Blog erfahren Sie auch in diesem Beitrag auf blog.weltlesebuehne.de