© Nicola Terzaghi

Die Energie wiedergeben, die ich im Original wahrnehme – Ein Interview mit der Viceversa-Preisträgerin Barbara Sauser

Barbara Sauser bekommt den neuen Viceversa Preis für literarische Übersetzung. Die Jury überzeugt ihre präzise, vielschichtige Übersetzung, der es gelingt, den zahlreichen, vollkommen unterschiedlichen Figuren eine eigene Stimme zu geben: „Ihre flüssige Sprache drückt differenzierte Emotionen aus, ohne je kitschig zu werden“.

Für das Blog der Weltlesebühne beantwortet Barbara Sauser Fragen zu diesem Preis, zu ihrer prämierten Übersetzung und ihrer Arbeit.

  • Dieses Jahr wird zum ersten Mal der neue Viceversa-Preis für literarische Übersetzung verliehen und du bist die Erste, die diese Auszeichnung erhält. Kannst du ein bisschen etwas über diesen Preis erzählen? Es geht um Schweizer Literatur und um Übersetzungen in eine der Landessprachen: Gibt es eine Art Shortlist übersetzter Bücher?

Schweizer Werk in der Übersetzung in eine der vier Landessprachen

Barbara Sauser: Der Preis war für mich eine große und natürlich auch sehr erfreuliche Überraschung, da ich nichts von seiner Existenz ahnte und wohl auch nicht ahnen konnte, er wurde nicht ausgeschrieben und es gab auch keine vorgängigen „Signale“ wie etwa eine Shortlist. Da der Preis für die Übersetzung eines Schweizer Werks in eine andere Landessprache verliehen wird, wäre so eine Shortlist mehrsprachig und insofern kein sehr handliches Instrument für Medien, Buchhandel und Leser:innen: Die Schweiz hat zwar vier offizielle Landessprachen, nämlich Deutsch, Französisch, Italienisch und Retoromanisch, aber das bedeutet natürlich nicht, dass wir alle viersprachig sind (und wer es ist, liest dann wohl doch eher direkt die Originale als die jeweiligen Übersetzungen).

Der Viceversa-Preis löst den Terra Nova Preis für Übersetzung ab, der 2013 ins Leben gerufen wurde, und soll ebenfalls jährlich verliehen werden. Die Jury besteht nach wie vor aus Vertreter:innen der vier Landessprachen und das übersetzte Werk muss zwingend schweizerisch sein, die Übersetzerin oder der Übersetzer hingegen nicht unbedingt. Neu ist meines Wissens letztlich nur, dass sich der Preis nicht mehr an Berufseinsteiger:innen richtet.

Landschaften und Charaktere waren mir eigentümlich vertraut

  • Fuori per sempre von Doris Femminis erschien im Mailänder Verlag Marcos y Marcos. Deine deutsche Übersetzung Für immer draußen publizierte der Zürcher Verlag edition 8 im vergangenen Jahr. Wie bist du zu diesem Übersetzungsauftrag gekommen?

Barbara Sauser: Der Roman von Doris Femminis ist meine erste Übersetzung für die edition 8. Die Lektorin Geri Balsiger, die unterdessen leider verstorben ist, rief mich während des ersten Lockdowns an, um mir den Roman zur Übersetzung anzubieten, nachdem ich ihr empfohlen worden war.

Geografisch war der Roman kein Neuland für mich: Ich hatte zufällig schon viele Sachtexte über genau jenes Bergtal übersetzt, in dem das fiktive Heimatdorf der Protagonistin angesiedelt ist – eine Landschaft, die so steil und felsig ist, dass jeder Quadratmeter Land optimal genutzt wurde. Die Landschaft und auch die Charaktere der Figuren aus dem Dorf waren mir daher eigentümlich vertraut. Ein großer Teil des Buchs spielt dann aber in anderen Teilen des Tessins beziehungsweise der Schweiz.

  • Für immer draußen handelt von der Studentin Giulia, die in einer komplexen, belastenden Familiensituation in einem Dorf im Tessin aufgewachsen ist. Nach einem Selbstmordversuch wird sie in der Psychiatrischen Klinik von Mendrisio behandelt. Der Roman geht der Frage nach, ob nach ihrer Entlassung ein „normales“ Leben draußen für Giulia wieder möglich sein wird. Was hat dich an diesem Roman speziell gereizt? Welche Erfahrungen hast du während und mit der Übersetzung gemacht?

Barbara Sauser: Die Autorin hat selber lange als Pflegerin in einer Psychiatrischen Klinik gearbeitet und viel von ihrem Wissen eingebaut – diesen Blick hinter die Kulissen fand ich sehr spannend. Natürlich habe ich während der Übersetzungsarbeit auch viel rundherum gelesen, etwa Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf und Die Welt im Rücken von Thomas Melle, und mich mit offenen Wortschatzfragen im Hinterkopf auf jeden Zeitungsartikel zum Thema gestürzt.

© Marcos y Marcos
© edition 8

Wie helvetisch soll die Übersetzung klingen?

Besonders im Zusammenhang mit der Klinik-Thematik stellte sich auch die Frage, wie helvetisch die Übersetzung klingen soll – nehme ich „Ambulanz“ oder „Krankenwagen“? „Spital“ oder „Krankenhaus“? Diesbezüglich lautet meine Faustregel – wenn es um ein Schweizer Buch für einen Schweizer Verlag geht, das aber durchaus auch für die Absatzmärkte Deutschland und Österreich gedacht ist –, dass ich das hochdeutschere Wort nehme, solange Lesende aus der Schweiz mit ziemlicher Sicherheit nicht darüber stolpern werden. Ein „Krankenhaus“ stört bestimmt niemanden, aber eine Tessiner „Alm“ würde das Schweizer Publikum wahrscheinlich entsetzen.

Speziell am Stil von Doris Femminis ist, dass sie die Figuren oft über die Gefühle beschreibt, die über sie hereinbrechen – bei diesen Stellen war es mir wichtig, vor allem die Energie wiederzugeben, die ich im Original wahrnehme. Streckenweise liest sich das Buch fast wie ein Road Movie, und obwohl ich es vor dem Übersetzen zuerst gelesen hatte, war ich immer wieder überrascht von den abenteuerlichen Wendungen, die die Geschichte nimmt. Ich habe versucht, die Leichtigkeit im Erzählen zu bewahren, auch wenn ich dafür hier und da einen Schlenker opfern musste.

  • Du übersetzt zwar schwerpunktmäßig aus dem Italienischen, aber auch aus dem Französischen, Russischen und Polnischen. Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Mischung. Wie verteilt sich das und gibt es z.B. Genre-Schwerpunkte bei deinen Übersetzungen? Arbeitest du viel oder sogar hauptsächlich für Schweizer Verlage?

Barbara Sauser: Ich habe Slavistik studiert und während des Studiums Russisch und Polnisch gelernt. Als ich mich nach acht Jahren Arbeitserfahrung in Verlagen als Übersetzerin selbständig gemacht habe, war ich in der Schweizer Verlagsszene schon gut vernetzt, sodass ich ziemlich schnell von verschiedenen Seiten Aufträge für Übersetzungen aus dem Italienischen bekam.

Gegenwartsliteratur aus den vier Landessprachen

Viele Schweizer Verlage publizieren Gegenwartsliteratur aus den anderen Landessprachen, sicher auch, weil die meisten Lektor:innen sie im Original lesen können und die Übersetzung von Schweizer Institutionen besonders gern gefördert wird, wie ja auch der Viceversa-Preis zeigt. Vor drei Jahren ergab sich auch ein erster literarischer Auftrag aus dem Französischen, so ist auch diese Sprache dazugekommen. Aus dem Russischen und Polnischen wird in der Schweiz hingegen verhältnismäßig wenig übersetzt, zumindest bis zum russischen Angriff auf die Ukraine war der slawische Kulturraum hier generell kaum präsent. Deswegen übersetze ich auch weniger aus diesen Sprachen, als ich eigentlich möchte, ich arbeite ja größtenteils für Schweizer Verlage. Aber die eine oder andere Reportage oder ein Prosatext ergibt sich immer wieder, und was nicht ist, kann noch werden.

  • Die Schweiz hat eine eigene und recht lebendige Literaturlandschaft und es gibt diverse sehr renommierte Verlage. Wie ist aus deiner Sicht die Situation von Literaturübersetzenden in der Schweiz? Du bist Mitglied in der WLB, die sich ja für Sichtbarkeit und Wertschätzung dieses Berufsstandes einsetzt. Wie steht es damit in deinem Heimatland bzw. welche Perspektiven siehst du?

Barbara Sauser: Die meisten hiesigen Verlage arbeiten regelmäßig mit Schweizer Übersetzer:innen zusammen. Oft werden die Übersetzungskosten teilweise oder ganz von der Pro Helvetia oder anderen Förderinstitutionen übernommen – dank dieser finanziellen Unterstützung sind wir überhaupt konkurrenzfähig. Trotzdem ist die Szene sehr klein, oder, besser gesagt, die Szenen – jede Zielsprache hat ja letztlich ihre eigene, die sich eher am jeweiligen Sprachraum orientiert. Um eine Vorstellung von den Dimensionen zu geben: Es gibt meines Wissen derzeit je einen Stammtisch in Zürich und in Lausanne, beide sprachübergreifend.

Übersetzen als Programmbestandteil von Festivals und Literaturhäusern

Das Thema Übersetzen wurde in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil des Programms einiger Festivals und Literaturhäuser, was in der Deutschschweiz sicher auch der Arbeit des Übersetzerhauses Looren zu verdanken ist. Förderinstitutionen weiten ihre Angebote vermehrt auch auf Übersetzer:innen aus, die Medien erwähnen in den meisten Fällen zumindest, von wem ein besprochenes Buch übersetzt wurde – es passiert also durchaus was. Aber ich merke doch immer wieder, dass das Übersetzen selbst Literaturinteressierten oft ziemlich schnuppe ist, sie finden ein, zwei Veranstaltungen dazu durchaus spannend, aber danach ist das Thema abgehakt. Mit anderen Worten ist es wichtig, dass wir immer wieder neue Formate entwickeln, um unsere Arbeit sichtbar zu machen.

Im Podcast «Jetzt spricht die Übersetzerin» (Teil 6) auf der Vicevers-Plattform stellt Barbara Sauser ihre Übersetzung in einem Gespräch mit Salomé Meier  vor. Der Podcast ist hier zu hören. Mehr zu Barbara Sauser und ihrer Arbeit gibt es außerdem auf ihrer Website.

B.E.

1 Gedanken zu “Die Energie wiedergeben, die ich im Original wahrnehme – Ein Interview mit der Viceversa-Preisträgerin Barbara Sauser

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