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Gläsernes Übersetzen – Literaturübersetzen wird sichtbar

Mythos und Realität des Übersetzens

Übersetzen ist ein einsames Geschäft. Da sitzt jemand allein am Schreibtisch, vor sich den PC und das Buch oder PDF des Textes, den er oder sie übersetzt. Um ihn oder sie herum Wörterbücher und andere Nachschlagewerke. Und bitte nicht stören! Das ist zumindest die landläufige Vorstellung. Ein Mythos?

Was passiert nun wirklich, wenn ein Roman, ein Gedicht, ein Theaterstück aus der Originalsprache in eine andere Sprache übertragen wird? Wo und wie findet man das richtige Wort, das genau den Ton des Originals trifft? Auf welche Hilfsmittel greift man zurück? Wie nah muss man am Ausgangstext bleiben und wieweit reicht der individuelle Spielraum? Spannende Fragen zum Arbeitsprozess eines besonderen Berufs.

Das Berufsbild transparent machen

Um dieses Berufsbild für das interessierte Lesepublikum transparent zu machen, ist ein Veranstaltungsformat entwickelt worden, bei dem man Übersetzenden bei der Arbeit über die Schulter schauen . Ganz konkret, während sie am PC sitzen und an ihrer Übersetzung arbeiten: Gläsernes Übersetzen.

Die Idee des „Gläsernen Übersetzers“ soll ursprünglich aus Skandinavien stammen. Heute hat sich das Veranstaltungsformat weltweit etabliert. In Deutschland wurde es ab 2003 als beständiges Element des „Übersetzer-Zentrums“ (seit 2010 „Weltempfang“) auf der Frankfurter Buchmesse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Gläsernes Übersetzen

Beim Gläsernen Übersetzen werden meistens sowohl der Originaltext als auch die Übersetzung projiziert: Man kann also live mitverfolgen, wie die Übersetzung entsteht. Aber das ist nur eine Variante.

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Bei vielen Veranstaltungen rund ums literarische Übersetzen, etwa bei Festivals, zum Hieronymustag (dem Internationalen Tag des Übersetzens), bei der Frankfurter Buchmesse kommt dieses Format zum Einsatz. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze: So kann die/ der Übersetzende live an einer Übersetzung arbeiten, während das Publikum den Arbeitsprozess eins zu eins verfolgt. Auf der Frankfurter Buchmesse finden seit vielen Jahren regelmäßig solche Veranstaltungen statt.

Noch eine Möglichkeit: Übersetzende wählen einen Textauszug, bitten das Publikum, selber an der Übersetzung mitzuwirken und stellen am Ende ihre eigene Textfassung vor und erläutern sie (Link). Beim Kölner Tag der Übersetzung 2021 versuchte man jedoch die „Rolle rückwärts“: Berthold Brechts Gedicht „Der Rauch“ wurde aus dem Englischen und dem Indonesischen zurück ins Deutsche übersetzt. Tobias Rothenbücher und Sabine Müller ließen sich bei diesem Experiment über die Schulter schauen. Auf dem YouTube-Kanal der Weltlesebühne ist jetzt auch das Video der Veranstaltung zu sehen.

Screenshot Tag der Übersetzung Köln

Wie alle Veranstaltungen, die das Übersetzen von Literatur in den Fokus rücken, will auch das Gläserne Übersetzen diejenigen sichtbar machen, die ihre Arbeit in den Dienst der Diversität und des Kulturtransfers, des universellen Anliegens von Literatur gestellt haben. Gläsernes Übersetzen schlägt eine Brücke zwischen Übersetzenden und den Lesenden: das Format vermittelt einen praktischen Einblick in einen Beruf, von dem die Öffentlichkeit bis heute noch kaum eine konkrete Vorstellung hat.

B.E.

 

 

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