von Claudia Cabrera
Mit Claudia Cabreras Artikel über das Übersetzerhaus Looren in der Schweiz folgt der zweite Teil unserer Serie über Übersetzerhäuser und –kollegien.
Die Übersetzerin Claudia Cabrera wurde 1970 in Mexico Stadt geboren, wo sie auch heute mit ihrem Mann, dem deutschen Übersetzer und Journalisten Gerold Schmidt, lebt.
Sie übersetzt Belletristik, Theaterstücke sowie Sach- und Fachliteratur aus dem Deutschen ins mexikanische Spanisch. Zu ihren Übersetzungen zählen Werke von deutschsprachigen Klassikern wie Robert Musil und Franz Kafka ebenso wie zeitgenössische Autor:innen, wie z.B. Monika Maron und der Theaterautor Falk Richter.
Derzeit arbeitet sie mit der Unterstützung eines dreijährigen Stipendiums des mexikanischen Kulturministeriums an der Neuübersetzung der Exilwerke von Anna Seghers, die die Autorin in und über Mexiko verfasste: Transit, Das siebte Kreuz, Der Ausflug der toten Mädchen, Das wirkliche Blau und Crisanta.
Claudias Beziehung zur deutschen Sprache und Literatur entwickelte sich bereits während ihrer Schulzeit am Deutschen Gymnasium in Mexico Stadt. Während ihrer zahlreichen Aufenthalte im deutschsprachigen Raum konnte sie ihre Kenntnisse so wie ihre Liebe zur deutschen Literatur vertiefen.
Weitere Informationen zu Claudia Cabrera und ihrer Arbeit gibt es auf ihrer Website
Milch als Metapher und als gelebte Wirklichkeit
“Eine Stille so cremig wie Milch“: Mit dieser wunderschönen Metapher hat die mexikanische Übersetzerin und Dichterin Paula Abramo (ehemalige Stipendiatin des Programms Looren América Latina) die Ruhe beschrieben, die das Übersetzerhaus Looren umgibt. Und es ist wirklich so, Looren ist eine kleine Enklave in Wernetshausen, einem verschlafenen Weiler (oder „Aussenwacht“ – in der Zürcher Beamtensprache), umgeben von weiten Wiesen, Wäldern und Bergen. Hausberg ist der Bachtel, auf halber Höhe des Zürcher Oberlandes. Jenseits der Berge kann man auf den Zürichsee gucken.
Milch als Metapher für friedliche Ruhe und Sanftmut. Und Milch als Nahrung: Am Fuße des Hauses liegt ein großer Stall, an dem man melkfrische Milch und frisch gemachten Käse kaufen kann. Auch Eier, gelegt von freilaufenden Hühnern, sowie Bio-Gemüse und -Obst, sind wenige Meter weiter zu erwerben. Im kleinen „Dorf-Lade“ kann man sich alles Nötige zusammenkaufen, wenn man nicht unbedingt zum nächstgrößten Supermarkt nach Hinwil mit dem Bus fahren möchte. Ruhe und vollwertige Nahrung – beides ist für uns Übersetzer:innen wichtig, die wir nach Looren pilgern. Denn es ist ein Pilgerort: Dort lässt sich unter besten Bedingungen arbeiten. Körper und Seele freuen sich darüber.
Looren – ein paar Fakten
Das Übersetzerhaus Looren – im Haus des ehemaligen Albert Züst Verlag und vom gleichnamigen Verein betrieben – „wurde 2005 gegründet und ist die einzige Einrichtung dieser Art in der Schweiz, einem Land, das mit seinen vier Landessprachen seit jeher eine Heimat des Übersetzens ist. Im Übersetzerhaus Looren im Zürcherischen Wernetshausen können professionelle Literaturübersetzer und -übersetzerinnen aus aller Welt während einiger Wochen leben und an ihren Projekten arbeiten. Das Haus steht in ruhiger, ländlicher Umgebung und ist ein Ort kollegialen Austauschs und konzentrierter Arbeit“, kann man auf der Webseite lesen.
Überhaupt finden sich auf der vorbildlichen Website übersichtlich alle wichtigen Infos. Außerdem gibt es ein tolles Blog, auf dem sehr interessante Artikel rund ums Übersetzen publiziert werden.
Zum Ambiente gehören auch die schönen Wanderungen, die in der Gegend möglich sind. Und die kurzen Ausflüge, zum Beispiel nach Rapperswil – oder die längeren, nach Zürich.
Das Haus Looren verfügt über acht Einzel- und zwei Doppelzimmer, kann also bis zu 12 Personen aufnehmen. Der Garten ist eine Einladung, sich in den warmen Monaten nach draußen zu setzen oder sich in der Laube aufzuhalten. Kalte Winternachmittage und -abende lassen sich kuschelig warm am Kamin in der gemütlichen Bibliothek lesend verbringen.
© Übersetzerhaus Looren
Mein Looren
Looren, wie wahrscheinlich jedes Übersetzerhaus, lässt sich nicht mit Zahlen und trockenen Infos beschreiben oder erklären. Da spielen immer die eigenen subjektiven Erlebnisse eine Rolle. Darum möchte ich über meine eigene Erfahrung erzählen.
Ich habe das große Glück gehabt, dreimal in Looren „wohnen“ zu dürfen – immer unter neuen und spannenden Umständen.
Mein erstes Mal in Looren im Sommer 2009 – ich habe damals das Looren-Übersetzerstipendium bekommen, das in dem Jahr für Übersetzungen ins Spanische vergeben wurde –, war zugleich auch mein allererstes Mal in einem Übersetzerhaus. So war diese Erfahrung für mich prägend. Ich muss gestehen, noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich in einer Wohngemeinschaft gelebt. So wusste ich die ersten paar Tage nicht so recht, wie mir geschah. Ich fühlte mich einsam und war dennoch nicht alleine – das Eis zu brechen ist mir noch nie sonderlich leichtgefallen. Ich fühlte mich nicht richtig frei. Wie kann man sich denn bitteschön eine Küche teilen? Allerdings hat jeder Gast in Looren ein privates Bad und einen kleinen Kühlschank im eigenen Schlaf- und Arbeitszimmer, so schlimm war es also wiederum nicht. Im Laufe der Tage bin ich langsam aufgetaut und habe mich getraut, mit meinen Mitbewohner:innen ins Gespräch zu kommen.
So kam ich in den Genuss der WG-Erfahrung: Ich teilte schöne Momente mit anderen, wir kochten und speisten zusammen, gingen zu zweit oder zu dritt spazieren. Dennoch verfügte ich über meinen eigenen Raum, in dem ich nach eigenem Rhythmus arbeiten und einfach sein konnte. Ich war wie „angefixt“. Einige dieser allerersten Looren-Freundschaften sind mir bis heute erhalten geblieben.
Das nächste Mal kam ich 2013 nach Looren, diesmal im Zweierpaket mit Thomas Brovot, um mit ihm zusammen die zweite ViceVersa-Werkstatt Spanisch-Deutsch zu leiten. Ja, in Looren gehören auch regelmäßig unterschiedliche Werkstätten zum Programm. Wir waren zu zwölft, das ganze Haus gehörte uns. Marco – der damalige Hausmeister ist auch ein richtig guter Koch und ein sehr sympatischer Mensch – bekochte uns jeden Tag. Wir wurden rundum verwöhnt. Die Organisation, die das Looren-Team in die Hand genommen hatte, war makellos, das Setting unschlagbar: Wir erlebten einen goldenen Herbst – bei äußerst produktiver und spannender Textarbeit und lebhaften Diskussionen. Außerdem besuchten uns die Schweizer Autoren Pedro Lenz und Hansjörg Schertenleib. Die Werke beider Schriftsteller gehörten zu Übersetzungsprojekten von Teilnehmer*innen bzw. von der Koleiterin. Ich war sehr glücklich mit dieser Werkstatt.
Looren América Latina
Mein bisher letzter Looren-Aufenthalt fand Anfang 2016 im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Looren América Latina“ statt, das den „Austausch zwischen europäischen und lateinamerikanischen Übersetzerinnen und Übersetzern“ fördert und unter anderem jährlich Stipendien vergibt. Damals verbrachten wir – drei Mexikanerinnen (Lucrecia Orensanz, Sonia Verjovsky und ich) und unsere brasilianische Kollegin Cláudia Mello Belhassof schneewütige Wintertage in Looren. Mit allen Dreien stehe ich nach wie vor in anregendem Austausch.
Nach ungefähr zwei Wochen „normaler“ Arbeit, d.h. jede für sich in ihrem eigenen Zimmer, beschlossen wir, lieber zusammen arbeiten zu wollen. Wir holten uns einen großen Tisch vom Esszimmer in die Bibliothek. Ab jenem Tag saßen wir regelmäßig mehrere Stunden zusammen am Tisch, jede an ihrem eigenen Text. Aber wir haben uns oft gegenseitig um Rat oder nach Vorschlägen gefragt, wenn wir jeweils am Ende unserer Kunst waren. Es war eine unglaublich produktive und lustige Weise zu arbeiten. Es mag sein, dass Looren noch nie so laute, lachfreudige Gäste beherbergt hat, sollte man den Gerüchten Glauben schenken wollen … Im Rahmen dieses Aufenthaltes haben wir den Literaturfrauen von ProHelvetia Angelica Salvisberg und Aurélie Meillard einen Besuch abgestattet. Außerdem besuchten wi dier James-Joyce-Stiftung, die seit jeher von Fritz Senn geleitet wird.
Die Bücher, die ich in Looren zum Teil oder zu Ende ins mexikanische Spanische übersetzt habe, sind Das Regenorchester von Hans-Jörg Schertenleib, Das Beil von Wandsbek von Arnold Zweig, Bambi von Felix Salten und Tragödie und dramatisches Theater von Hans Thies Lehmann.
Die Krönung: Während meines dritten Aufenthaltes war ich der 1000. Gast im Haus!
Den Anlass haben wir zusammen, alle Hausgäste und das Looren-Team, beim gemeinsamen Fondue und Raclette gefeiert. Ich habe ein sehr schönes Buch geschenkt bekommen, vom Looren-Team gewidmet. Dieses Team möchte ich namentlich erwähnen: An der Spitze steht Gabriela Stöckli, herzlich, unermüdlich, immer voller neuer Ideen und mit neuen Projekten. Ihr habe ich einiges zu verdanken. Die Mitarbeiterinnen Florence Widmer, Janine Messerli, Monika Mutti und Zorka Ciklaminy sind immer hilfsbereit, offen und herzlich. Ebenfalls Carla Imbrogno, die das Programm Looren América Latina leitet. Inzwischen ist das Team um neue Mitarbeiter:innen erweitert worden.
Ohne den ersten intensiven Aufenthalt in Looren wäre ich wohl nicht auf den Geschmack gekommen, mir andere Übersetzerhäuser anzuschauen und auszuprobieren. Ich kann allen Kolleg:innen diese absolut bereichernde Erfahrung nur empfehlen. Ich habe Freunde, Bekannte und Kontakte gewonnen, Projekte, Bücher und Ideen verwirklicht. Kurzum – die Aufenthalte in Looren und anderen Übersetzerhäusern bedeuteten Lebensfreude und professionelle Inspiration.