©Renard

Ablehnen. Bevorzugen. Abwägen – Übersetzen ist Wählen

Auf der Website des Toledo-Programms findet sich unter dem Menupunkt Journale ein dreiteiliger Podcast der französischen Übersetzerin Julie Tirard. Hier berichtet Julie von ihren Erfahrungen als Übersetzerin feministischer Texte. Mehr noch: Sie veranschaulicht die ganz besonderen Herausforderungen, mit denen sie sich als feministische Übersetzerin konfrontiert sieht.  

Nichts, was uns passiert

Julie Tirards erste literarische Übersetzung war der Debutromans von Bettina Wilpert nichts, was uns passiert. Sie entdeckte dieses Buch zufällig, als sie an einer Übersetzungswerkstatt im Rahmen des Goldschmidt Programms, einem Förderprogramm für Literaturübersetzende, teilnahm.

Das zentrale Thema: Vergewaltigung. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Es steht Aussage gegen Aussage. Der Roman thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und deren Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.

Julie war sofort fasziniert und entschlossen, diesen Roman der französischen Leserschaft zugänglich zu machen.

Podcast in drei Teilen

In ihrem dreiteiligen Podcast gewährt sie Einblick in ihre Arbeit an diesem ganz speziellen Buchprojekt: ausgehend von ihrer Faszination für Bettina Wilperts Romandebut und ihrer Entscheidung, genau dieses Buch ins Französische zu übersetzen über die vielen ganz unterschiedlichen Herausforderungen während des Übersetzens bis hin zur Suche nach einem geeigneten und auch interessierten Verlag.

Feministische Literatur übersetzen – als Feministin

Die Übersetzung dieses Buchs bedeutet für Julie Tirard mehr als nur das Herüberbringen des Textes aus dem Deutschen ins Französische: Sie bedeutet auch politisches Handeln und Verpflichtung, bedeutet Entscheidungen treffen.

©Chloé Desnoyers

Auf der sprachlichen Ebene bedeutet das: Ablehnen – bevorzugen – abwägen, eine Wahl treffen für oder gegen bestimmte Wörter oder Begriffe: Das sind die Entscheidungen, wie der feministische Text übersetzt werden soll. Doch es bedeutet für sie vor allem auch, diesen Text als Feministin zu übersetzen.

Verlagssuche

Den Roman Nichts, was uns passiert hatte Julie Tirard kurz vor dem Erscheinen beim Berliner Verbrecher Verlag entdeckt. Doch um ihr Projekt tatsächlich realisieren zu können, galt es einen geeigneten Verlag in Frankreich zu finden. Es lag natürlich nahe, bei Verlagen anzuklopfen, die feministische Literatur im Programm haben. Sie vermutete Interesse bei einem Kollektiv engagierter Verlegerinnen. Aber im Endeffekt war es dann ein Mann, Benoît vom Verlag Le Nouvel Attila, der Julies Begeisterung teilte und das Buch im August 2022 herausbrachte: Es trägt den französischen Titel Ça n’arrive qu’aux autres.

B.E.

 

 

 

 

 

 

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