© Ebba Drolshagen

Die Sprache Europas ist die Übersetzung – Rückblick auf den ersten Europa-Tag der Übersetzung in Bad Oeynhausen

Der Europa-Tag der Übersetzerinnen und Übersetzer mit Lesefest als Auftakt in Bad Oeynhausen hat am 6. Und 7. Mai zum ersten Mal stattgefunden. Als zentrale Veranstaltung im Rahmen des Festivals europa:westfalen präsentiert er ein neues Format der Events, mit denen das Literaturübersetzen gefeiert und auf die Bühne gebracht wird.

Organisiert und durchgeführt wurde dieses Fest in enger Zusammenarbeit zwischen der Agora-Gesellschaft für Literatur, Kunst und Kultur e.V., der Weltlesebühne e.V., dem internationalen Literaturfest „Poetische Quellen“ sowie der Netzwerkinitiative literaturland westfalen.

Die Übersetzerinnen und WLB-Mitglieder Annette Kopetzki, Dorota Stroińska und Michael Scholz, Vorsitzender der AGORA – Gesellschaft für Literatur, Kunst und Kultur e.V. und Veranstalter, waren verantwortlich für die künstlerische Leitung, das Konzept und das Programm. Sie haben der Digitalen Weltlesebühne nach der Veranstaltung fünf zentrale Fragen zu diesem innovativen Projekt beantwortet:

Ein Europa-Tag der Übersetzenden – die Idee

Wie ist die Idee entstanden, einen Europa-Tag der Übersetzung ins Leben zu rufen und wie kam die Kooperation der Partner zustande?

Michael Scholz

Die Idee dieses Übersetzertages mit einem Lesefest der Übersetzerinnen und Übersetzer als Auftakt entstand im Jahr 2019 bei einer Tagung der Netzwerkinitiative literaturland westfalen, die sich 2011 als erste Netzwerkinitiative dieser Art in Deutschland gegründet hat. 2019 wurde das Thema „Europa in Westfalen – Westfalen in Europa“ oder kurz „europa:westfalen“ als Schwerpunkt für das Festival bestimmt, welches 2021 durchgeführt werden sollte.

Ich bin Leiter des Internationales Literaturfests „Poetische Quellen“, für welches die Bedeutung von Übersetzenden seit etwa 2011 immer mehr zugenommen hat. Daher stehe ich bei der Zusammenstellung des Programms in engem Austausch mit ihnen. Daher kam sofort der Gedanke auf, dass sich bei dem Festival „europa:westfalen“ eine Veranstaltung auf die immens wichtige Arbeit der literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer beziehen müsste, ohne deren Wirken auch innerhalb der europäischen Literaturen kein Austausch möglich ist. Diese Idee wurde vom literaturland westfalen sofort angenommen: Das Übersetzerfest sollte die Kernveranstaltung des gesamten Festivals darstellen.

Durch die bereits langanhaltende Zusammenarbeit mit der Weltlesebühne bei den „Poetischen Quellen“, vor allem immer wieder mit Annette Kopetzki, entstand dann rasch die Idee, das Programm des Übersetzerfestes mit den unterschiedlichen Veranstaltungsformaten der Weltlesebühne und der Jungen Weltlesebühne zu füllen.

Die Pandemie bedingte Verschiebung des Übersetzerfests von 2021 auf 2022 wurde glücklicherweise ermöglicht, nicht zuletzt da die Hauptförderer  – die LWL-Kulturstiftung und der Deutsche Übersetzerfonds mit Mitteln des Programms Neustart Kultur –, ihre Förderung auf das Jahr 2022 hinaus verlängerten.

Dorota Stroińska:

Seit langem hatte ich die Idee einer Beteiligung unserer Weltlesebühne-Veranstaltungen an bestehenden internationalen Literaturfestivals, die jenseits der Großstädte in Parkanlagen, Gärten und Kurorten stattfinden und sich großer Beliebtheit beim Publikum erfreuen – die Vision, so was wie ein Weltlesearkadien zu schaffen, das auch Menschen im ländlichen Raum erreicht. 

Es war schließlich Michael Scholz‘ Idee, im Rahmen des Festivals europa:westfalen den Europa-Tag am 9. Mai 2021 als Tag der Übersetzerinnen und Übersetzer zu planen, und wer, wenn nicht wir, die Weltlesebühner:innen mit all ihren Potenzialen und Erfahrungen, sollte ihn gestalten! So entwarf ich im September 2020 ein Programm, das mit vielfältigen Formaten ein möglichst breites Publikum ansprechen sollte und zusammen mit Annette Kopetzki und Michael Scholz verfeinert wurde. Als Auftakt unserer Zusammenarbeit veranstalteten wir schon bei den „Poetischen Quellen“ im August 2020 eine Podiumsdiskussion über das „Übersetzen in vermintem Gelände“ (Syrien mit Larissa Bender, Russland mit Olga Radetzkaja und Polen mit mir), die bei dem Publikum sehr gut ankam.

 

Die Sprache Europas ist die Übersetzung – die Übersetzung ist die Sprache der Menschheit

Der Europa-Gedanke, der bereits im Namen des Festivals europa:westfalen zum Ausdruck kommt, prägt auch die tagtägliche Arbeit von Übersetzenden. Als die Organisator:innen dieses Fest planten, stand wohl vor allem der literarische, kulturelle und soziale Austausch, den Übersetzung fördert und fordert, im Fokus. In welcher Form findet sich dieser Ansatz im Programm mit seinen acht sehr unterschiedlichen Veranstaltungen wieder?

Michael Scholz

Wie sehr der Europa-Gedanke bei dem Übersetzerfest zum Ausdruck gebracht worden ist, verdeutlicht nicht zuletzt der eigentliche Name der Veranstaltung, der auf ein Zitat von Umberto Eco zurückgeht, welches lautet: „Die Sprache Europas ist die Übersetzung“.

Auch der Zeitpunkt der Durchführung des Übersetzerfestes (6. und 7. Mai) wurde bewusst ausgewählt: Er lag zwischen den beiden offiziellen Europatagen der Europäischen Union (5. Mai 1949: Gründung des Europarates / 9. Mai 1950: Tag der sog. „Schumann-Erklärung“).

Der Europa-Gedanke kam entweder direkt oder indirekt bei jeder Veranstaltung zum Tragen – aber die grundlegende Aussage ging weit darüber hinaus. Auch wenn Umberto Eco mit seinem Satz Recht hat, so müsste dieser selbstverständlich noch erweitert werden und eigentlich wie folgt heißen: „Die Sprache der Menschheit ist die Übersetzung“, weil Verstehen immer erst durch Übersetzen gelingen kann.

Dorota Stroińska:

Die Länder und Menschen Europas sind gekennzeichnet durch unterschiedliche historische Erfahrungen, durch sprachliche, ethnische und kulturelle Komplexität, die sich mit all ihren Brüchen, Lücken und Spannungen auch in der Übersetzung zeigt. In einem Reigen von Veranstaltungen boten wir einen übersetzerischen Blick auf Sprache, Literatur und auf die heutige Welt. Denn das Übersetzen ist nicht nur ein in der Zeit verankertes sprachkritisches Handeln, sondern es bedeutet auch, sich dem Anderen auszusetzen, sich vom Anderen überfordern zu lassen, dabei auch mal zu scheitern oder sich selbst zu entfremden. Für anderthalb Tage verwandelte sich die Wandelhalle im Kurpark in einen arkadischen Raum der Begegnung mit Literaturübersetzer:innen, die mit ihrer Sprachkunst und Reflexion, Neugier und Hingabe für die Grenzöffnung im geistigen Bereich sorgen.

Annette Kopetzki:

Der soziale und kulturelle Austausch, den die Übersetzung fördert, kommt in unterschiedlicher Weise in jeder Veranstaltung zum Ausdruck, besonders natürlich in „Übersetzen mit Akzent„, in „Sprengstoff Sprache und Literatur“ und in der letzten Veranstaltung, außerdem in besonders wichtiger Weise bei den Veranstaltungen für Kinder. Dass Übersetzen auch eine gemeinsame lustvolle Aktivität sein kann, wurde beim „Gläsernen Übersetzer“ und beim „Translation Slam“ deutlich, den beiden interaktiven Veranstaltungen. Besonders beim „Gläsernen Übersetzer“ führte Ingo Herzke anschaulich vor Augen, wie sehr Übersetzen eine Frage von Entscheidungen ist.

 

Die Kuratorinnen Annette Kopetzki und Dorota Stroińska
© Ebba Drolshagen

 

Übersetzen in vermintem Gelände

Durch die aktuellen Geschehnisse im Osten Europas hat die Bedeutung von Übersetzung in ihrer friedensstiftenden, Grenzen überwindenden und kulturvermittelnden Funktion ein noch stärkeres, brandaktuelles Gewicht bekommen. Hat das auch im Rahmen dieses Programms, das im Wesentlichen bereits für 2021 zusammengestellt wurde, thematisiert werden können?

 Dorota Stroińska:

Als wir das Programm für 2021 planten, konnten wir in der Tat nicht ahnen, dass die Metapher im Veranstaltungstitel „Sprengstoff Sprache und Literatur. Übersetzen in vermintem Gelände“ durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine entsetzliche Realität in Europa wird.

Der Krieg ist präsent in allen Medien, in Nachrichten und Meldungen. Der Krieg führt zu Beschädigungen auf der Ebene des Sprachaustauschs, der Kommunikation; man kann ihn nicht verstehen, man kann ihn nur überstehen überleben. Man kann den Krieg auch nicht in Frieden übersetzen.

Doch was bedeutet das für die übersetzenden Menschen? Kann Sprache zum Sprengstoff werden? In welcher Art von Gelände bewegen sie sich? Und was sind die Minen?  Übersetzen ist immer auch politisch, denn es beinhaltet ethisch und politisch relevante Entscheidungen, die unseren Umgang mit Anderen und mit Anderem betreffen.

Michael Scholz

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wurde besonders in der Veranstaltung „Sprengstoff Sprache und Literatur. Zum Übersetzen in vermintem Gelände“ angesprochen. Leider hat man hier auch wahrnehmen müssen, wie begrenzt die vermittelnde Funktion von Kultur ist, je rigider und verbrecherischer sich totalitäre Systeme gegenüber ihren Bürgern verhalten und die Meinungs- und Pressefreiheit unterdrücken. Dennoch findet die Hoffnung des aufeinander Zugehens und die Möglichkeit des gegenseitigen Verstehens nirgendwo größeren Ausdruck als in den verschiedenen Bereichen des kulturellen Austauschs zwischen Ländern, Nationen, Gesellschaften und den einzelnen Menschen, wobei bewusstgemacht werden muss, dass Austausch immer auch eine Form des Übersetzens ist.

 

Das Publikum: Interesse wecken für das Literaturübersetzen

Welches Publikum sollte mit dem Europa-Tag der Übersetzung angesprochen werden? Hat es Austausch und Interaktion mit dem Publikum gegeben?

Michael Scholz:

Menschen sind entweder Interessierte oder eben weniger bis gar nicht Interessierte, wobei man bei Letzteren versuchen sollte, Interesse für die Sache, die man selbst als wichtig erachtet, zu wecken. Die Arbeit von literarischen Übersetzerinnen und Übersetzern ist beim heutigen Zustand der Welt wichtiger denn je, denn vor allem mittels Literatur lässt sich ein profundes, einfühlsames Kennenlernen fremder Kulturen/Gesellschaften/Menschen ermöglichen in einer Zeit, in der Reisen hauptsächlich der eigenen Freizeitgestaltung dient und nicht mehr der Neugier und dem Interesse an dem Anderen, dem Fremden.

Ein Zusammenspiel mit dem Publikum hat es vor allem bei den auf Interaktion angelegten Veranstaltungen „Der gläserne Übersetzer“ und bei dem „Translation Slam“ gegeben und bei fast allen einzelnen Veranstaltungsformaten in Gesprächen zwischen einzelnen Besuchern und Übersetzern im Anschluss an die jeweilige Veranstaltung.

Annette Kopetzki:

Wir wollten vor allem Leser und Leserinnen ansprechen, die dank der „Poetischen Quellen“ bereits für die Probleme der Übersetzung sensibilisiert sind und wissen, dass sie bei einer Übersetzung eine subjektive Interpretation des Originals lesen. Austausch hat es gegeben, wie bereits oben erwähnt, vor allem bei den Veranstaltungen „Übersetzen mit Akzent“ und „Sprengstoff Sprache und Literatur. Übersetzen in vermintem Gelände“. 

Raum zur Interaktion gab es im besonderen beim „Gläsernen Übersetzer“ und beim „Translation Slam“.  Diese Veranstaltungen gestaltete das Publikum sehr rege und fröhlich mit: Die Ideen aus dem Publikum waren wirklich originell, erstaunlich kreativ. Außerdem gab es auch private Gespräche nach den Veranstaltungen.

 

Sind eure Erwartungen an dieses Fest der literarischen Übersetzung erfüllt worden? Könnt ihr euch vorstellen, mit diesem Konzept weiterzuarbeiten? Gibt es Pläne für die Zukunft?

Michael Scholz

So sehr die beiden Veranstaltungstage auch ein Wiedersehen und einen intensiven Austausch zwischen den teilnehmenden Übersetzerinnen und Übersetzern ermöglicht haben, bin ich als Veranstalter dennoch enttäuscht vom geringen Zuspruch des Publikums. Das lag eher nicht am Konzept der Veranstaltung, auch nicht unbedingt an der Werbung, für die wir im Vorfeld auch den WDR 3 als Kulturpartner gewonnen hatten, der mit Ankündigungs-Trailern gut drei Wochen vor der Veranstaltung immer wieder in seinem Rundfunk-Programm hingewiesen hat.

Folgende Gründe könnten für den geringen Zuspruch des Publikums mit verantwortlich sein:

Zum einen fehlte aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine nachgeholte Veranstaltung handelte, die Einbettung in einen größeren Festivalzusammenhang, der vermutlich für mehr Aufmerksamkeit gesorgt hätte.

Zum anderen war die Wahl des Titels möglicherweise nicht geeignet, um das Publikum konkret zum Dabeisein aufzufordern. Es kann sein, dass viele potentiell interessierte Menschen unter der Bezeichnung „Europa-Tag der Übersetzerinnen und Übersetzer“ eher an einen Kongress gedacht haben als an eine offene Publikumsveranstaltung.

Hinsichtlich des leider auch wirklich enttäuschenden Zuspruchs bei beiden Veranstaltungen der Jungen Weltlesebühne, muss man hier die Erkenntnis ziehen, dass derartige, wirklich ausgezeichnete Veranstaltungsangebote zukünftig besser direkt entsprechenden Schulen vorgeschlagen und angeboten werden müssten und dort auch stattfinden sollten.

Den größten Publikumszuspruch hatte die Veranstaltung „Sprengstoff Sprache und Literatur. Zum Übersetzen in vermintem Gelände“, die unter demselben Titel erstmals beim Internationalen Literaturfest „Poetische Quellen“ im Jahr 2020 stattgefunden hatte und eventuell deshalb eine größere Wiedererkennbarkeit beim Publikum besaß.

Allerdings war das vor Ort anwesende Publikum voll des Lobes sowohl für die vielseitigen Veranstaltungsformate als auch für die Bühnenpräsenz und für das zutiefst versierte, dabei aber verständlich dargebotene profunde sprachliche wie kulturelle Wissen der teilnehmenden Übersetzerinnen und Übersetzer. Das trug insbesondere auch bei der oben erwähnte Veranstaltung „Sprengstoff Sprache“ zu einem tiefen Verständnis des gesellschaftlichen Zustandes der Länder sowie auch der von dort stammenden Autoren bei: Syrien vertreten durch die Übersetzerin Larissa Bender, Russland mit Olga Radetzkaja sowie Brasilien mit Michael Kegler, hervoragend moderiert von Dorota Stroińska.

Annette Kopetzki:

Dieses Fest der Literaturübersetzung war vor allem ein Wiedersehensfest zwischen Kollegen und Kolleginnen. Denn was den Zuspruch des Publikums, also die Menge der Zuschauer betrifft, sind unsere Erwartungen nicht erfüllt worden. Besonders enttäuschend war, dass es bei der ersten Veranstaltung für Kinder mit Elina Kritzokat keinen einzigen Zuschauer gab und bei Leila Chammaa nur eine Frau im Publikum saß. Wir rätseln, woran das gelegen hat. Falscher Ort, falscher Tag? Wir hatten so viel Werbung in der Stadt und im Landkreis gemacht. Wir werden aber trotzdem mit diesem Konzept weiterarbeiten. Michael Scholz wird in Zukunft auf jeden Fall eine Veranstaltung zur Übersetzung in sein Festival „Poetische Quellen“ integrieren. Wahrscheinlich eine von den interaktiven Veranstaltungen, die ja überall, auch auf den Buchmessen, immer großen Zuspruch finden.

Dorota Stroińska

Es war ein wunderschöner und reichhaltiger Europa-Tag der Übersetzerinnen und Übersetzer mit Klassentreffencharakter! Bei den Besucherzahlen gibt es sicherlich noch Luft nach oben, und die angebotenen Kinderworkshops funktionierten leider nicht. Es zeigte sich nochmal, wie schwierig es ist, Kinder außerhalb des schulischen Zusammenhangs einzubinden.

Es wäre wunderbar, wenn wir auch in Zukunft eine oder zwei Veranstaltungen im Rahmen der „Poetischen Quellen“ organisieren könnten – Verknüpfung zum jeweiligen Motto des jährlichen Literaturfests lassen sich immer herstellen.

B.E.

 

 

 

 

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