Wer liest was und wo? Übersetzte Literatur in Italien und Deutschland
So lautete die Überschrift zu diesem Abend in der Zentralbibliothek in Düsseldorf. Bereits zum dritten Mal war die Weltlesebühne zu Gast im Stadtfenster des KAP1. Im November 2021 eröffnete die WLB mit einer Veranstaltung zum Übersetzen im Tandem (Hanna Fliedner und Christel Kröning, Mod. Barbara Engelmann) diesen sehr schönen Veranstaltungsraum in der Zentralbibliothek – damals noch mit begrenzter Zuschauerzahl, Pandemie bedingt.
Im Oktober 2022 traf der niederländische Übersetzer Gerrit Bussink „seinen“ Autor Uwe Timm.
Dieses Mal tauschten sich die Übersetzerinnen Margherita Carbonaro und Barbara Engelmann über ihre Erfahrungen und Eindrücke mit der jeweiligen Kultur und Literatur in Italien und Deutschland aus. Der Fokus lag in ihrem Gespräch auf übersetzter Literatur – wie sollte es auch anders sein?
Zweimal Doppelleben – eine kollegiale Freundschaft
Margherita Carbonaro und Barbara Engelmann stellten sich zunächst gegenseitig vor und erzählten von ihrer Verbindung und kollegialen Freundschaft: Beide leben sie sowohl in Deutschland als auch in Italien – zu etwa gleichen Zeitanteilen. Sie sind vertraut mit beiden Ländern, dem Leben dort und natürlich mit der Kultur und der Literaturlandschaft.
Während Margherita durch langjährige Arbeitserfahrung im italienischen Verlagswesen den Einblick „nach innen“ hat, d.h. sie ist mit der verlegerischen Arbeit selbst vertraut, kennt die verschiedenen Wege, die zu verlegerischen Entscheidungen führen etc., erkundet Barbara die literarischen Landschaften eher „von außen“, auf Festivals und Lesungen, in Gesprächen mit Autor*innen und im Kontakt mit Agenturen.
Zur Verlagslandschaft Italiens…
Margherita betont, dass deutsche Literatur als allgemeines Kulturgut bei so gut wie allen Verlagen vertreten ist, seien es nun die großen, etablierten oder die unabhängigen kleineren bis kleinen. Dabei müssen „große“ Verlage und Verlagsgruppen die Auflagenhöhe im Blick haben, denn aufgrund der Organisations- bzw. Geschäftsformen, des umfangreichen Apparats (Personal, Werbung, Herstellung etc.) entstehen unausweichlich hohe Produktionskosten. Unabhängige Verlage sind zumeist freier in ihren Entscheidungen – unabhängiger, im konkreten Sinn des Wortes. Allerdings bedeuten wirtschaftliche Grenzen auch Einschränkungen: Unabhängige Verlage sind sehr auf Förderungen angewiesen, wie sie beispielsweise über Creative Europe beantragt werden können – ein komplexes Thema, das an diesem Abend später noch in der Diskussion vertieft wurde. Im Zusammenhang mit Literatur aus dem deutschen Sprachraum erwähnt sie u.a. die kleinen, aber sehr feinen L’orma editore und Keller editore
Margheritas Zusammenfassung: Es wird zwar sehr viel publiziert, aus dem Deutschen übersetzte Titel sind auch regelmäßig bei Preisnominierung wie etwa dem Premio Strega Europeo vertreten. Aber es wird dennoch vergleichsweise wenig gelesen – und demzufolge auch wenig verkauft. Und das macht den Verlagen sehr zu schaffen.
…und Deutschlands
Barbara beobachtet in Deutschland, dass italienische Literatur zwar in sehr vielen Verlagsprogrammen vertreten ist, und sei es auch nur mit einzelnen Titeln. Allerdings scheint immer weniger Risikobereitschaft zu bestehen – italienische Bestseller oder bestimmte Genres wie z.B. (literarische) Krimis haben zunächst einmal bessere Chancen. Doch sind es vor allem die kleinen und unabhängigen Verlage, die sich gezielt italienischer Literatur widmen. Klaus Wagenbach war bereits vor Jahrzehnten ein Vorreiter. Um nur eine Handvoll aktuell interessanter Verlag mit einem Akzent auf italienischen Titeln zu nennen: Folio Verlag mit einem breitgefächerten Programm von moderner Klassik bis zeitgenössischer Literatur in verschiedenen Genres, Edition Converso mit einem Schwerpunkt auf Italien innerhalb des Programms der Literaturen des Mittelmeerraums sowie Nonsolo Verlag mit neuen literarischen Stimmen aus Italien. Im Gastlandjahr 2024 hatten viele Verlage neue italienische Titel im Programm und das Programm während der Messe war vielseitig und auch recht repräsentativ. In wieweit sich daraus ein Trend entwickeln wird, ist bis jetzt nur schwer einzuschätzen.
Und wie geht es den Übersetzenden von Literatur?
Ein wichtiges Thema war zudem die Situation von Übersetzenden. In Italien spielen die Agenturen eine zentrale Rolle. Sie arbeiten sowohl für Autor*innen als auch für (ausländische) Verlage, deren Rechte sie vertreten. Verlage bieten Übersetzenden im allgemeinen die Übersetzung eines Buches an – dass ein*e Übersetzer*in mit einem Vorschlag direkt an einen Verlag herantritt, ist eher selten bzw. kommt ab und zu vor, wenn es um Literatur aus einer sogenannten „kleinen Sprache“ geht.
Auch in Deutschland sind es zumeist die Verlage, die mit einem Übersetzungsangebot auf Übersetzende zugehen. Aber es ist dennoch nicht unüblich, dass man einen Titel vorschlägt und dann ein Gutachten für den jeweiligen Verlag anfertigt (was jedoch nicht heißt, dass das dann tatsächlich auf fruchtbaren Boden fällt).
Wenn die Situation für Übersetzende in Deutschland nicht gerade rosig ist und die Honorare selten ausreichen, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist es in Italien ein noch viel härteres Brot: Deutsche Honorare mögen mies sein – in Italien sind sie hundsmiserabel. Es gibt kaum verhandelbare Standardverträge, keine Verkaufsbeteiligung und wenige Belegexemplare. Ein*e erfahrene*r Übersetzer*in hat bei deutschen Verlagen meistens zumindest einen gewissen Verhandlungsspielraum. Dennoch: Stipendien und Übersetzerpreise spielen eine große Rolle, wenn es darum geht die Einkünfte aufzustocken. Und auch da ist Deutschland im Vergleich zu Italien viel besser aufgestellt – noch! Denn wie wir wissen, sind die Förderungen bereits gekürzt worden und was noch auf uns zukommt, steht in den Sternen.
Literatur und Literaturübersetzen – eine Leidenschaft
Mehrfach wurde in diesem Gespräch betont, dass es für die Arbeit der Literaturübersetzung und der Literatur im allgemeinen vor allem viel Leidenschaft bedarf – und Solidarität und Networking. Das Fazit, das auch von Publikumsstimmen kam: Europa ist ein Kontinent mit einer großen kulturellen und literarischen Vielfalt. Und die, jenseits von allen politischen Stürmen und angespannter Zeitenwende-Stimmung, gilt es zu pflegen. Und hier sind es weiterhin die Übersetzenden, die Brücken bauen.
B.E.