©Katja Hoffmann

Wie geht … Serien übersetzen?
von Jeannette Bauroth

Das Übersetzen einer ganzen Buchreihe unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten vom Übersetzen von Einzelbänden. Einerseits muss man mit viel Weitblick arbeiten, andererseits ist man auch an vergangene Entscheidungen gebunden. Erst wenn dieser Spagat gelingt, kann daraus eine erfolgreiche Übersetzung werden. Was bedeutet das konkret? Schauen wir das uns am besten mal an einigen Beispielen an.

Wo ist meine Kristallkugel?

Weitblick wird nötig, wenn wir terminologische Entscheidungen treffen müssen, ohne zu wissen, wo die Reise hingeht. Eine Figur hat einen sprechenden Namen, der aber nicht selbsterklärend ist? Band 3 der Trilogie ist aber noch nicht geschrieben, sodass man auch nicht im Originalmanuskript nachschauen kann, was die große Aufklärung enthüllt? Dann bleibt nur die Rückfrage an die Autorin und die Hoffnung, dass die gewählte Übersetzung auch in Band 3 noch einen Sinn im Rahmen der Geschichte ergibt.

Bitte sagen Sie Du zu mir!

Ebenfalls knifflig ist die Frage nach dem Duzen und Siezen. Das Problem stellt sich in der englischen Ausgangssprache natürlich nicht! Da wir im Second Chances Verlag Entscheidungen hinsichtlich der Übersetzung gerne im Team diskutieren, führen wir genau zu diesem Punkt häufig angeregte Diskussionen. Aus welchem Grund sollten sich Personen duzen? Wer steht in der Hierarchie auf derselben Ebene und müsste dann genauso behandelt werden? Welche Gründe sprechen dafür, welche dagegen? Haben wir eine vorläufige Entscheidung getroffen, behalten wir die Entwicklung der Geschichte genau im Auge. Stoßen wir irgendwann auf Probleme?

Sehr schön zeigte sich das zum Beispiel an unserer Reihe „Teufel sind auch nur Menschen“, eine lustige Urban-Fantasy-Serie, in der sich alles um das Ermittlerteam des Luzifers dreht. Der Luzifer ist das Oberhaupt der Speziesgemeinschaft, also eine Respektsperson. Da er im Text schon mit seinem Vornamen (Percy) angesprochen wird, hatten wir uns überlegt, ihn wenigstens siezen zu lassen, um deutlich zu machen, dass er ein Regierungsoberhaupt ist.

Dann stellte sich jedoch in Band 2 heraus, dass Percy und Lily, ein Mitglied dieses Teams, mal ein Paar waren. Da würden sie sich natürlich nicht siezen, und auch nicht vor den Kollegen „zur Tarnung“, denn das würde ja eine gewisse Hinterhältigkeit, ein bewusstes Täuschen der Kollegen im deutschen Text implizieren, das so im englischen Original gar nicht angelegt war.

In Band 4 stellte sich plötzlich heraus, dass ein weiteres Mitglied des Ermittlerteams ein alter Schulfreund des Luzifers ist. Jemand, mit dem man schon seit Kindheitstagen befreundet ist, würde man auch nicht siezen, oder? Aber was nun? Lassen wir den Luzifer zwei Personen duzen und den Rest siezen, bringt uns das bei „Gruppengesprächen“ in große Schwierigkeiten, es wird kompliziert.

Letztendlich haben wir uns dafür entschieden, dass die Mitglieder des Ermittlerteams von Anfang an untereinander und mit dem Luzifer per du sind. Das gilt auch für Personen, die im ersten Buch noch nicht zu diesem Team gehören, im Laufe der Reihe aber dorthin aufsteigen. Wer dabei ist, wird geduzt. Unser großes Glück war es, dass wir bei dieser Reihe schon alle vier Manuskripte vorliegen hatten, sodass wir die Stolperfallen Beziehung und Kindheitsfreund schon während der Übersetzung von Band 1 erkannt haben und darauf reagieren konnten.

Ups, was machen wir nun?

Was aber, wenn eine zu einem früheren Zeitpunkt getroffene sprachliche Entscheidung plötzlich in einem späteren Band nicht mehr so recht passt? So geschehen in unserer Serie „Die Pik-Sieben-Morde“ – ein Zitat aus Band 2 wird plötzlich zu einem wichtigen Satz in Band 5, wenn auch in einem völlig anderen Kontext. Hätten wir den Kontext in Band 5 zum Zeitpunkt der Übersetzung von Band 2 schon gekannt, hätten wir die Textzeile womöglich sprachlich leicht abgewandelt übersetzt, um absolut sicherzugehen, dass sie sich nahtlos in beide Texte einfügt. Hier ist die Änderung nicht mehr so einfach.

Eine Option wäre, die Zeile so zu übersetzen, wie sie in Band 5 am besten passt, sie nachträglich im E-Book des zweiten Bandes zu ändern und dieselbe Änderung für die neue Druckauflage von Band 2 vorzumerken. Eine zweite Möglichkeit wäre, das Zitat so in Band 5 einzubauen, dass es dort nicht fremd wirkt, notfalls mit einer leichten Anpassung der umgebenden Sätze.

Wie wir uns entschieden haben, verrate ich hier aber nicht – Spoilergefahr!

Und das ist das wunderbar Herausfordernde am Übersetzen einer Reihe – immer mit Blick nach vorn, Blick nach hinten und Blick auf die Gegenwart.

Jeannette Bauroth übersetzt Unterhaltungsliteratur aus dem Englischen. Da sie es schade findet, wenn Buchreihen vorzeitig abgesetzt werden, hat sie 2019 den Second Chances Verlag gegründet – wo Lieblingsbücher wieder ein Zuhause finden. Dort verlegt sie auch eigene Originalpublikationen, die ihrer Meinung nach einen Platz auf dem deutschen Buchmarkt verdient haben. Übers Übersetzen redet sie gern und viel und freut sich jeden Tag an ihrem tollen Beruf. Für die Digitale Weltlesebühne hat sie ein spannendes Video gedreht, in dem man mehr über das Serien Übersetzen und ihren Verlag erfährt. Zu sehen auf unserem YouTube-Kanal.

 

 

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