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Vom „Milchmann“ zum Förderpreis – die Übersetzerin Anna-Nina Kroll im Porträt

Von Essen über Straelen nach Dublin und vom „Milchmann“ zum Förderpreis – die Übersetzerin Anna-Nina Kroll im Porträt

 

Wie es mit dem Übersetzen begann

Als ich Anna-Nina Kroll 2013 zum ersten Mal begegnete, hatte sie ihr Diplom in Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf noch nicht in der Tasche. Da war sie aber bereits zum ersten Mal zu einem Arbeitsaufenthalt im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen – als Kollegin unter den „Großen“, wie sie das ausdrückte. Zuvor hatte sie das EÜK schon durch die Blockseminare ihres Studiengangs kennengelernt.

 Und hier fing auch ihre berufliche Laufbahn an: Zwei Blockseminare bei einer/m Berufsübersetzer*in gehören im Studium dazu – Anna-Nina war vom ersten Mal so begeistert, dass sie insgesamt an fünf Seminaren teilnahm. Gleich zu Anfang traf sie auf Ulrich Blumenbach als Seminarleiter. Offensichtlich erkannte er da bereits ihr Talent. Denn als sie einige Semester später ein weiteres Seminar bei ihm belegte, fand er die Zeit sei reif: Er stellte sie bei Diogenes vor und sie bekam ihren ersten Übersetzungsauftrag: Gleichung mit einer Unbekannten des amerikanischen Autors Gabriel Roth.

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Irische Literatur übersetzen

Ab dann ging es Schlag auf Schlag: Seit 2012 übersetzt Anna-Nina regelmäßig englischsprachige Romane, Kinderbücher und literarische Sachbücher für Diogenes und andere Verlage, u.a. Klett-Cotta/Tropen und Kein&Aber.

2015 wurde sie schließlich von einer Lektorin bei Diogenes gefragt, ob sie sich vorstellen könne, einen irischen Roman zu übersetzen: Mit Donal Ryans Die Sache mit dem Dezember schaffte sie es, sich als deutsche Stimme dieses spannenden Autors zu etablieren. Gleichzeitig erwachte durch diesen Auftrag ihre Liebe zur facettenreichen irischen Literatur und für die Grüne Insel.

Vom Übersetzen leben

Eine so steile Karriere ist für eine Berufsanfängerin in Literaturübersetzen alles andere als die Regel. Schon im Studium erfährt man, dass es ein steiniger Weg sein wird, dass man mit schlechten Einstiegsbedingungen und niedrigen Honoraren rechnen muss, um überhaupt erstmal den berühmten „Fuß in die Tür“ zu bekommen. Anna-Nina übersprang dieses Stadium einfach. Seit dem ersten Auftrag kommt man regelmäßig auf sie zu, sie übersetzt hauptberuflich und schafft es, davon zu leben. Reich ist sie zwar noch nicht geworden, aber es geht. Glück, nennt sie es selbst. Das allein würde wohl kaum ausreichen, um regelmäßig an gute Übersetzungsaufträge zu kommen: Zuverlässig muss man sein, Deadlines einhalten und auch die Fähigkeit zur Kommunikation ist wichtig. Grundvoraussetzung: Man muss man es eben „können“. Sonst hilft auch das beste Netzwerk nichts.

Das EÜK wird zum zweiten Zuhause

Seit ihrem ersten Arbeitsaufenthalt gehört Anna-Nina zu den Kolleginnen, die man regelmäßig im EÜK antrifft. „Das Kollegium ist für mich zum zweiten Zuhause geworden“, erzählt sie. Straelen liegt nur einen Katzensprung entfernt von ihrem Wohnort Essen. Von dort kommt sie mehrmals im Jahr in das ruhige Städtchen an der Grenze zu den Niederlanden, vorzugsweise immer dann, wenn sie vollkommen ungestört und konzentriert an einer ihrer Übersetzungen arbeiten will.

Als ich sie vor gut zwei Jahren wieder einmal dort traf, bekamen wir Kolleg*innen sie nur wenig zu sehen: Die Übersetzung des „Milchmann“ von Anna Burns nagelte sie sozusagen an ihrem Arbeitsplatz auf der Galerie fest. Kein Wunder! Ich hatte den Roman gelesen, nachdem die Autorin dafür 2018 mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet worden war: ein ungewöhnliches und faszinierendes Buch, das schon beim Lesen eine Herausforderung ist: Haare raufen nebst schlafloser Nächte sind also für Übersetzende vorprogrammiert. Für Anna-Nina Kroll hat sich diese Herkulesarbeit gelohnt! Ihre Übersetzung wurde von der Kritik hochgelobt und 2021 erhielt sie dafür schließlich den Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW. Sie hatte kaum damit gerechnet, aber als sie von der Kulturstiftung den Anruf bekam und erfuhr, dass sie den Preis tatsächlich bekommen sollte, war ihr Glück perfekt.

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Von Essen über Straelen nach Belfast und Dublin

Diese wichtige Auszeichnung krönt das bisherige Schaffen von Anna-Nina Kroll. Aber davor bekam sie bereits mehrfach ein NRW-Arbeitsstipendium im EÜK. Mit einem Arbeitsstipendium des Deutschen Übersetzerfonds für Milchmann konnte sie 2019 in Belfast die Wege der Protagonistin des Romans abwandern und sich die beschriebenen Orte mit eigenen Augen anschauen.

2020 war sie zudem Translator in Residence am Trinity College in Dublin. Dort konnte sie u.a. „ihren“ Autor Donal Ryan persönlich treffen.

Im November steht nach der Pandemie-Pause wieder einmal ein Aufenthalt im EÜK an – mit einem weiteren Roman von Anna Burns.

Mehr über Anna-Nina Kroll und ihre Arbeit gibt es hier.

B.E.

 

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