YouTube-Kanal aus Lust am Ausprobieren
„Wir sind ja die Generation YouTube“ sagt Thoralf Czichon, Student der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Wie viele Leute seiner Generation ist er damit aufgewachsen, hat bereits als Kind viele YouTube-Videos und Clips geschaut.
Vor etwa drei Jahren hatte er dann die Idee, es einfach selber mal zu probieren. Er startete seinen eigenen Kanal: LiteraturNews. Thoralf setzte sich „einfach selbst vor die Kamera“ und veröffentlichte seine ersten Videos zu verschiedensten Themen rund um die Literatur. Zunächst machte er das aus Neugier, hauptsächlich für sich selbst – noch nicht so sehr für ein Publikum. Bald stellte er fest, dass es durchaus Leute „da draußen“ gab, die sich für seine Themen interessierten und sich gern auch mal eine halbe Stunde Zeit nahmen. Anfangs waren es so um die 60 Abonnenten, bis dann nach und nach die Tausender-, Zweitausender-Marken geknackt wurden.
Eine Erfolgsgeschichte
Inzwischen sind es über sechstausend Abonnenten. Im Gespräch mit Julian Müller versucht Thoralf Czichon, eine Erklärung für seine Erfolgsgeschichte zu finden. Denn Literatur bleibt in den Weiten des Internets eine Nische. Und Thoralf bedient mit seinen LiteraturNews innerhalb dieser Nische nicht den Mainstream.
Seine Themen sind sehr breit gefächert: Er widmet sich auch vergessener Literatur, Werken und Autoren vergangener Epochen und begibt sich immer wieder auf Entdeckungsreisen in noch wenig beleuchtete „Nischenräume“ der Literatur. Und damit trifft er vermutlich den Nerv seiner Abonnenten, wie er sich selber diesen recht außergewöhnlichen Erfolg zu erklären versucht.
Literaturübersetzen: Solides Handwerk allein reicht nicht aus
Und natürlich geht es im Interview auch ums Übersetzen – um die Bedeutung von Übersetzung für den Leser Thoralf Czichon und um die Rolle, die Übersetzerinnen und Übersetzer für den jeweiligen Text spielen, den er da vor sich hat: Im Handwerklichen sieht er lediglich eine Art erlernbare Grundvoraussetzung. Die ist notwendig. Sie macht jedoch bei weitem nicht die Aura der Übersetzung aus: Zwischen Ausgangstext und Übersetzenden entsteht eine individuelle Art von Beziehung. So entsteht der Text, durch den das Werk einer Autorin, eines Autors sich in der anderen Sprache schließlich mitteilt. „In jedem Text steckt ein Mensch, der sein Menschsein in diesen Text hineingegossen hat“.
Literatur ist keine Mathematik
Aus eben diesem Grund sieht Thoralf in künstlicher Intelligenz auch keine wirkliche Gefahr, keine Bedrohung für die literaturschaffenden Berufe: Literatur, ob Originaltext oder Übersetzung, ist eine individuelle, menschliche Schöpfung, die nicht durch Algorithmen ersetzbar ist.
Wie wohltuend und ermutigend, eine solche Einschätzung der Zukunft von Literatur zu hören! Von jemandem, der in einer Welt aufgewachsen ist, in der die digitalen Möglichkeiten die Arbeit in fast allen Sektoren inzwischen weitgehend bestimmen und zur Alltäglichkeit, zur Normalität geworden sind.
Dieses absolut sehenswerte Video-Interview ist jetzt auf dem YouTube-Kanal der Weltlesebühne verfügbar. Gespannt sein und anschauen!
Verantwortlich für Konzept, Kamera und Schnitt ist Julian Müller.
B.E.