Mirko Kraetsch ©Daniela Capacová

Übersetzende on tour – Mirko Kraetsch in der Slowakei

Übersetzer, Kulturvermittler und nicht zuletzt Weltlesebühnen-Schatzmeister Mirko Kraetsch war im April in der Slowakei unterwegs. Im Interview erzählt er über seine unterschiedlichen Erfahrungen bei Veranstaltungen im Goetheinstitut, im universitären Umfeld oder in der Buchhandlung Artforum. Er erklärt die Besonderheiten der slowakischen Sprache und ihrer Übersetzung – und warum Übersetzer:innen unbedingt auf die Bühne sollten.

Mirko, du bist Übersetzer aus dem Tschechischen und aus dem Slowakischen. Wie bist du zum Übersetzen aus diesen Sprachen gekommen?

Aufgewachsen bin ich in Dresden. Mein letzten vier Schuljahre habe ich an einer EOS mit Schwerpunkt moderne Fremdsprachen verbracht. Neben Russisch und Englisch, was ich bereits vorher auf dem Stundenplan hatte, konnte ich mich für Französisch oder Tschechisch als dritte Sprache entscheiden. Gewollt habe ich Französisch, gekriegt allerdings Tschechisch. Was vermutlich daran lag, dass die zwanzig Plätze pro Klasse (für ein Einzugsgebiet von über 500 000 Einwohnern) an solche gingen, die ein höheres „gesellschaftliches Engagement“ – eine damals übliche und eingeforderte Kategorie – zeigten als ich, dem das ganze „rote Gesülze“ gestohlen bleiben konnte.
(Mirko Kraetsch ©Daniela Capcarová)

Nach dem Abitur landete ich an der Berliner Humboldt-Universität, wo ich Bohemistik und Kulturwissenschaft studiert und als Magister abgeschlossen habe. Für mein erstes Hauptfach brauchte ich jedes Semester Sprachpraxis-Stunden. Da ich aber schon Tschechisch auf Abitur-Niveau konnte, habe ich stattdessen Übersetzungskurse (teils aus dem Hauptstudium) belegt, und als ich die auch alle durchhatte, griff ich zur nächstliegenden Nachbarsprache Slowakisch. Denn es gibt an der HU bis heute auch eine Slowakistik, die Wege waren kurz. Und vor allem in meinem Auslandsjahr in Prag 1994/95 war ich viel mit Slowakisch in Berührung gekommen, ob nun in Form von Medien jeder Art oder von konkreten Menschen.

Meine Slowakisch-Kenntnisse habe ich beibehalten und zu pflegen versucht, angeregt und gefördert vor allem auch von meiner damaligen Dozentin, der Slowakistin Ute Raßloff. (Ihr habe ich meinen ersten honorierten und publizierten Übersetzungsauftrag zu verdanken – aus dem Slowakischen.) Zwar liegt mein übersetzerischer Schwerpunkt beim Tschechischen, was aber eher mit äußeren Umständen (Textproduktion vor Ort, Interesse hierzulande, geografische Entfernung) zu tun hat als mit irgendwelchen Präferenzen.

Was sind die Unterschiede zwischen den beiden meines Wissens nach recht ähnlichen Sprachen? Und welche besonderen Schwierigkeiten gibt es beim Übersetzen ins Deutsche aus dem Slowakischen, wenn sich das kurz zusammenfassen lässt?

Die beiden Sprachen sind sich relativ ähnlich, das stimmt, vor allem, wenn man sie geschrieben sieht. Die Tonalität ist allerdings eine deutlich andere, die Slowaken „singen“. Als Vergleich für die Unterschiede ziehe ich gern Deutsch und Schwyzerdütsch heran: Wenn man letzteres zum Beispiel als Cottbusser:in zum ersten Mal hört, versteht man nur „Bahnhof“, aber plötzlich erkennt man immer mehr Wörter, die teils regelmäßig von den gewohnten Formen abweichen.

Da „meine“ beide Sprachen über 70 Jahre hinweg – die Zäsur der Nazizeit mal ausgenommen – gleichberechtigte Amtssprachen der Tschechoslowakei waren, haben sie sich zu sogenannten Kontaktsprachen entwickelt, das heißt: Jede:r spricht oder schreibt in seiner/ihrer Muttersprache (inklusive aller Medien). Und alle anderen verstehen das, egal welche der Sprachen genutzt wird. Das funktioniert in Resten bis heute so. Wobei Slowak:innen eher Tschechisch verstehen als Tschech:innen Slowakisch, was mit einem Gefälle in der Medienrezeption zu tun hat. Inzwischen werden Bücher aus einer in die andere Sprache übersetzt – noch vor 30 Jahren undenkbar!

Besondere Herausforderungen beim Übersetzen – aus beiden Sprachen übrigens – sind für mich immer wieder das Tempussystem, die größeren Möglichkeiten für die Wortbildung in den Ausgangssprachen und das recht häufige Vorkommen von Germanismen in der Umgangssprache – die leider in meiner Zielsprache Deutsch mit dem restlichen Text nicht kontrastieren, weswegen ich zu anderen sprachlichen Mitteln greifen muss.

Mit diesem Phänomen hängt auch ein inhaltlicher Aspekt zusammen, nämlich die lange gemeinsame mitteleuropäische Geschichte mit diesen Regionen (woher sich auch der Einfluss der deutschen Sprache auf diversen Ebenen herleitet) – allerdings ist das Wissen über diese Geschichte beim hiesigen Lesepublikum oft nicht (mehr) abrufbar, weshalb bestimmte Gegebenheiten genauer erklärt werden müssen. Ähnlich ist es mit den gesellschaftlichen Erfahrungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zwar in vielen Punkten mit meinen Erfahrungen als DDR-Bürger vergleichbar sind, die aber ein Großteil der Menschen im deutschsprachigen Raum nicht teilt. Und Themen aus der jüngeren oder älteren Geschichte spielen in vielen Texten beider Sprachen eine (oft auch unterschwellige) Rolle – die durch Explizieren im Deutschen dann eine ganz andere Betonung bekommen würde. Da ist Einfallsreichtum gefragt.

Du warst als Übersetzer in der Slowakei unterwegs. Meist ist es ja so, dass Autor:innen im Ausland, wenn überhaupt, mit ihren Übersetzer:innen in die Landessprache auf Veranstaltungsreise gehen. Du bist aber jetzt als Übersetzer aus dem Slowakischen ins Deutsche durch das Land getourt. Wie kam es dazu?

Die Idee stammt von der vor allem als Übersetzerin aus dem Tschechischen bekannten Eva Profousová. Sie war 2019 eine der Co-Leiterinnen der ViceVersa-Werkstatt für Tschechisch, Slowakisch und Deutsch in Looren. Ich selbst war als Slowakisch-Übersetzer vor Ort, mit einem großen Romanprojekt, der Familiensaga Das Haus des tauben Mannes von Peter Krištúfek. Später habe ich Eva sogar noch als Beraterin „eingebunden“ und habe zu diesem Buch (dessen Autor 2018 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist) auch eine Veranstaltung im Weltlesebühne-Format mit ihr geplant, deren Umsetzung aus Zeitmangel aber noch aussteht.

Nachdem im Herbst 2021, erneut in Looren, eine slowakisch-deutsche ViceVersa stattgefunden hatte (an der Eva ebenfalls teilgenommen hat), die bei allen regelrecht euphorische Gefühle erzeugte, hat meine Kollegin möglicherweise den „emotionalen Schwung“ genutzt und bei zwei Institutionen vor Ort, dem Literaturzentrum und dem Goethe-Institut in Bratislava (wo zudem je ein:e ViceVersa-Teilnehmer:in arbeitet) direkt angefragt, ob eine kleine Tournee mit mir denkbar und machbar wäre.

(Während ich das schreibe, fällt mir auf, wie enorm wichtig doch unsere beneidenswerte Infrastruktur in Sachen Übersetzen ist. Wo wären wir alle im deutschsprachigen Raum ohne den DÜF und die anderen fördernden Institutionen?)

 

Mirko Kraetsch, Michal Hvorecký ©Milina_Svítková

Du hast mit dem Autor und Übersetzer Michal Hvorecký Veranstaltungen in vier Städten der Slowakischen Republik gestaltet: Bratislava, Košice, Banská Bystrica und Nitra. Welche Themen standen für euch im Vordergrund und was bedeutet für dich Empowerment zur Bühnenpräsenz?

Neben der immer wieder gern gestellten – und speziell bei mir sehr ausführlich zu beantwortenden – Frage, wieso um alles in der Welt ich als „Bio-Deutscher“ diese beiden Sprachen nicht nur gelernt habe, sondern sie auch noch zu meinem Beruf gemacht habe, war ein Themen­schwerpunkt, welchen Weg ein slowakischer Text bis zur Buchpublikation in deutscher Sprache zurücklegt (was ich am Beispiel des schon erwähnten Romans Das Haus des tauben Mannes erläutert habe) und welche Stellung die slowakische Literatur auf dem hiesigen Buchmarkt einnimmt.

Nach den ersten beiden Veranstaltungen (Goethe-Institut und Buchhandlung Artforum), die sich an eine breite Öffentlichkeit richteten, legten wir in der Wissenschaftlichen Staatsbibliothek und an der Uni den Schwerpunkt stärker auf mein praktisches Dasein als Übersetzer in Deutschland: Dass wir alle, die wir Literatur aus dem Slowakischen (und Tschechischen) übersetzen, damit nicht unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Dass wir aber immerhin eine gute Infrastruktur zur Verfügung haben (wie schon erwähnt), zu der auch der sehr aktive und recht erfolgreich agierende VdÜ gehört.
Und nicht zu vergessen: die Weltlesebühne. Ihnen allen geht es darum, unseren Berufsstand sichtbar zu machen, wichtiges Wissen in Sachen Urheberrecht etc. pp. zu verbreiten und damit letztlich unser Selbstbewusstsein als Übersetzer:innen zu steigern – was uns im besten Fall eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Verlagen verschafft.

Außerdem agiert es sich mit einem gepflegten Selbstbewusstsein auch gut auf Podien. Wo Übersetzer:innen unbedingt hingehören. Bei allen vier Veranstaltungen fiel das Stichwort „Fachleute für alles“, denn genau das sind wir doch. Wer sonst liest literarische Texte so gründlich und hinterfragt sie so intensiv? Wer recherchiert auch noch die absurdesten Spezialthemen bis in die hintersten Verästelungen inklusive Sekundärliteratur? Ganz zu schweigen vom fundierten Wissen über Gegenwart und Geschichte der jeweiligen Sprachregionen in allen Aspekten. Wer wühlt sich durch Stapel von historischen literarischen Werken, um seine in der Vergangenheit spielende Übersetzung passend zu patinieren? – Das ließe sich noch beliebig fortsetzen.

Und für alle Kolleg:innen, bei denen diese Argumente auf fruchtbaren Boden fallen, die sich darin wiederfinden, ist es dann eigentlich nur noch ein kleiner Schritt bis auf eine Bühne. Man muss nur erst mal auf die Idee kommen. – Allerdings gibt es in der Slowakei einen relativ neuen Verband von Übersetzer:innen und Lektor:innen, DoSlov, der auch übersetzungsspezifische Veranstaltungen anbietet. (Leider hatte ich während meiner Tour keine Gelegenheit, mit jemandem aus dem Verband zu sprechen.) Ganz so neu ist die Idee jedenfalls in der Slowakei nicht.

Wie werden Übersetzende deiner Erfahrung nach in der Slowakei wahrgenommen?

In der Slowakei erfährt das Übersetzen nicht die Wertschätzung, die es verdient. Aufträge werden schlecht bezahlt, Normseitenhonorare deutlich unter 10 € sind die Regel. Dabei ist das Preisniveau speziell in den Städten gar nicht so viel niedriger als in Deutschland … Die Nennung von Übersetzer:innen gehört ebenfalls nicht zur selbstverständlich geübten Praxis in der Literaturberichterstattung. (Nicht einmal im Newsletter der renommierten Buchhandlung Artforum – der allerdings von der Bratislava aus betreut wird, wie uns die Inhaber der Niederlassung in Košice versicherten – werden die Namen derjenigen genannt, aus deren Texten teils zitiert wird.) In dieser Gemengelage herrscht sogar in der kulturell interessierten Öffentlichkeit ein großes Unwissen, was das Übersetzen in all seinen Aspekten angeht, geschweige denn, welche Personen es ausüben und wie. Aber Besserung ist auch in Sicht. Vor allem kleine Verlage mit hohem Qualitätsanspruch setzen seit einiger Zeit die Namen der Übersetzer:innen mit aufs Buchcover.
(Mirko Kraetsch, Michal Hvorecký ©Artforum)

Und der Berufsverband der Übersetzer:innen und Lektor:innen bietet regelmäßig nicht nur Weiterbildungen für Mitglieder an, sondern auch Veranstaltungen für die Öffentlichkeit. Zu all dem gehört auch die Vernetzung über Strukturen wie CEATL oder CELA.

Eins meiner Ziele der Tournee war es, von der „good practice“ im deutschen Sprachraum zu berichten (und dass hier auch nicht alles rosarot aussieht) und möglichst viele zu ermutigen, ihre Rechte einzufordern und selbstbewusst Präsenz zu zeigen.

Was sind deine Erfahrungen als Übersetzer und Kulturvermittler von dieser Reise?

Es ist nicht ganz leicht, ein Publikum zu finden. Für das Thema deutschsprachige Literatur ganz allgemein, für den speziellen Aspekt des Übersetzens erst recht. Alle, die mitorganisieren, greifen deshalb zu einem bewährten Mittel: Sie schreiben alle relevanten Personen in ihren Verteilern noch einmal persönlich an und laden sie ein. Das klappt manchmal, manchmal auch nicht.

Nicht gut geklappt hat es bei der ersten Veranstaltung im Goethe-Institut, dort saßen nur etwa 15 Personen (inklusive Orga-Team) in einem für 50 bestuhlten Raum. Allerdings wurde die Debatte live gestreamt, wodurch realistisch geschätzt noch einmal beachtliche 200 Zuschauer:innen dazugekommen sind. (Das Institut bestätigte mir regelmäßig hohe Zahlen bei den Streams, mit denen sie auch Menschen in anderen Gegenden der Slowakei – und darüber hinaus – erreichen können. Auch bei Bedenken in Sachen Pandemie ist ein Stream ein erfreuliches Angebot.)

In der Buchhandlung Artforum in Košice, einer gut vernetzten und hoch anerkannten Institution, hatten wir volles Haus, an die dreißig Leute aller Altersgruppen waren gekommen, darunter auch Studierende, die meinen Ausführungen zum praktischen Berufsleben besonders interessiert folgten.

Die Runde in der Wissenschaftlichen Staatsbibliothek von Banská Bystrica war wieder deutlich intimer. Die 15 Anwesenden kamen aus dem universitären Bereich, was auch den Inhalt der Debatte prägte. Ähnlich war es bei der letzten Station, in einem Seminarraum der Universität von Nitra. Dort war unser Auftritt als Lehrveranstaltung deklariert worden, etwa zwanzig Studierende sowohl der Germanistik als auch der Translatologie samt ihrer Dozent:innen füllten den Raum. Sie folgten unseren Ausführungen mit Interesse und nutzten auch die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Der Effekt aller vier Podien war so, wie ich ihn von allen Veranstaltungen im Weltlesebühnen-Format kenne: Erst einmal ist speziell das thematisch noch unbeleckte Publikum etwas skeptisch, aber im Anschluss fallen immer Sätze wie: „Das hat meinen Horizont echt erweitert.“ Oder: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“ Oder: „Ab sofort schau ich immer nach, wer übersetzt hat.“
Vereinszweck erreicht. Wir müssen nur machen.

K.S.

 

 

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