© Nadine Püschel

Übersetzen wie Gott in Frankreich – Das CITL in Arles

Teil Vier der Serie über Übersetzerhäuser international: dieses Mal nimmt uns die Übersetzerin Nadine Püschel mit nach Arles in der Provence. Das dortige Übersetzerhaus Collège International des traducteurs litteraires ist für sie ein Ort, der wichtige Etappen ihrer beruflichen Laufbahn kennzeichnet.

Nadine Püschel studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf. Anschließend arbeitete sie zunächst als Untertitlerin und Voice-over-Übersetzerin.

Seit 2008 ist sie freie Übersetzerin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur sowie für audiovisuelle Medien aus dem Englischen und Französischen, insbesondere für Kunst- und Literaturhäuser sowie Kulturfestivals.

Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Ein Übersetzerhaus – verewigt in den Bildern von van Gogh

von Nadine Püschel

Malerisch sind viele Übersetzerhäuser, aber es gibt wohl nur eines, das auf Bildern eines weltberühmten Malers verewigt ist: Das Collège International des traducteurs littéraires (CITL) im südfranzösischen Arles befindet sich in einem Flügel des einstigen Krankenhauses, in dem Vincent van Gogh nach seiner Selbstverletzung am linken Ohr einige Wochen lang untergebracht war.

Heute heißt das Gebäude mit den Bogengängen um den wunderschönen Innenhof „Espace Van Gogh“ und beherbergt neben dem Übersetzerhaus auch die Mediathek und das Archiv der Stadt, einen Ausstellungsraum und ein Café samt Souvenirladen. Kein Wunder, dass der Maler in Arles eine seiner produktivsten Schaffensphasen hatte (etwa 180 Bilder malte er in den anderthalb Jahren seines Aufenthalts): In den verwinkelten Gässchen zwischen römischem Amphitheater, majestätischer Kathedrale und Rhone-Ufer, umgeben von der einzigartigen Landschaft der Camargue und übergossen von dem provenzalischen Licht, das van Gogh so liebte, lässt man sich gern von der Muse küssen. 

Amphitheater Arles
© Nadine Püschel

Kunst, Kultur und Lebensart begegnen einem hier auf Schritt und Tritt – bekannt ist die Stadt u. a. für die Rencontres d‘Arles, die zu den weltweit bedeutendsten Festivals für Fotografie gehören, aber auch für den größten Wochenmarkt der Provence, der jeden Mittwoch und Samstag stattfindet; die weitläufige Verlagsbuchhandlung Actes Sud ist nur eine von zahlreichen Buchläden, die zum Stöbern einladen.

Dass die Kunst der Übersetzung in dieser illustren Umgebung eine so prominente Rolle spielt, ist der Association pour la promotion de la traduction littéraire (ATLAS) zu verdanken, die sich als Trägerin des CITL der Förderung der literarischen Übersetzung widmet und jährlich die mehrtägigen Assises de la traduction littéraire, den Printemps de la traduction sowie zahlreiche Lesungen, Werkstätten und Begegnungen ausrichtet.

Inspirierende Wohngemeinschaften auf Zeit

Doch was wäre ein Übersetzerhaus ohne die Gäste aus aller Welt, die hier zum Arbeiten einige Wochen oder Monate wohnen? Im Stockwerk über der wunderschönen Bibliothek mit ihren geräumigen Arbeitsplätzen befinden sich zehn Zimmer, eine sehr geräumige Wohnküche mit Sofaecken, Klavier und Dachterrasse und ein Sportraum – ideale Bedingungen für inspirierende, immer wieder neu zusammengesetzte Wohngemeinschaften auf Zeit. Gemeinsam kochen oder auch nur den Frühstückskaffee teilen (mindestens drei Kaffeemaschinen und ebenso viele Espressokocher stellen die Koffein-Grundversorgung sicher), Tischtennis spielen oder sich auf der Terrasse sonnen: So lässt sich wunderbar Energie für die Schreibtischarbeit tanken.

Dachterrase CITL
© Nadine Püschel

Stipendien für Aufenthalte von zwei bis vier Wochen kann man über den Deutschen Übersetzerfonds beantragen, aber auch ein Direktantrag beim CITL ist möglich, wobei Übersetzungsprojekten aus dem Französischen oder ins Französische der Vorzug gegeben wird. Und die Plätze sind begehrt, wie der Belegungskalender auf der Website für dieses Jahr zeigt: https://www.atlas-citl.org/conditions-de-sejour/

Meilensteine eines Werdegangs

Mein erster Besuch im Collège ist gut zwanzig Jahre her: Als Studentin des Literaturübersetzungs-Studiengangs der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nahm ich dort an einer Werkstatt mit dem Autor Jean Rouaud und seinem Übersetzer Josef Winiger teil. Zwei eminente Persönlichkeiten, denen ich bei meinen ersten Schritten im Feld der Übersetzung mit Ehrfurcht begegnete, und ein Erlebnis, das mich in meiner Leidenschaft für das Übersetzen bestärkte. Wie das Leben so spielt, durfte ich viel später, mit etwas mehr Erfahrung im Gepäck, einige Texte des Autors über das Ballett für das Jahrbuch der Zeitschrift Tanz übersetzen – ein schöner, nostalgischer Brückenschlag zu meinem ursprünglichen Berufswunsch, Tänzerin zu werden. `

Nach dem Studium arbeitete ich allerdings erst einmal bei einer Untertitelagentur, bis mich das Goldschmidt-Programm für junge Literaturübersetzer*innen zur Literatur und nach Arles zurückbrachte. Vier Wochen dauerte der Aufenthalt unserer zehnköpfigen Gruppe (fünf französisch-deutsche Tandems) im März 2008 im CITL, und diese Zeit legte den Grundstein für meinen weiteren Weg als Übersetzerin. Aus dem Projekt, an dem ich damals arbeitete und das ich bei den zahlreichen Verlagsbesuchen in Berlin, Hamburg und Frankfurt vorstellen durfte, wurde zwar nichts, aber den Einstieg in den Beruf schaffte ich trotzdem.

Ein Herzensprojekt wird verwirklicht

Manchmal braucht man eben einen langen Atem, wenn man ein Herzensprojekt verwirklichen will: Das Exposé zu einem Roman, den ich etwas später in Marseille in einer Buchhandlung entdeckte, hatte ich zehn Jahre in der Schublade, bis das von NEUSTART KULTUR finanzierte Extensiv-initiativ-Programm des Deutschen Übersetzerfonds 2021 die Übersetzung ermöglichte. Und wieder fügte sich alles ganz wunderbar: Bei einem Aufenthalt am CITL konnte ich mich drei Wochen lang auf die Arbeit an Planet ohne Visum konzentrieren und vor Ort recherchieren – denn der Roman ist in Marseille und Umgebung angesiedelt (für den YouTube-Kanal der Weltlesebühne habe ich in einem kurzen Video einige Eindrücke von dieser Reise zusammengestellt). 

Bibliothek CITL
© Nadine Püschel

Wieder fand sich eine bunt gemischte Wohngemeinschaft zusammen: Aus Frankreich, dem Libanon, Ägypten und Spanien kamen die Kolleginnen und Kollegen, die ich gleich zu Beginn bei einem geselligen Abend im Gemeinschaftsraum kennenlernte; die Bibliothekarin Caroline Roussel, die viele Jahre lang für die Fortbildungs- und Werkstattangebote zuständig war, verabschiedete sich in den Ruhestand. Das berührendste Geschenk war ein Korb mit Dutzenden Briefen von Übersetzerinnen und Übersetzern aus aller Welt – und diese Geste bestätigte für mich das Gefühl, das ich mit Häusern wie dem CITL in Arles verbinde: Teil einer großen, bisweilen etwas kauzigen, aber immer herzlichen Familie zu sein.

Brioches zum Abschied
© Nadine Püschel

 

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