Ulrich Blumenbach zeigt auf das Bahnhofsschild Wolfenbüttel
Angekommen – Ulrich Blumenbach am Bahnhof Wolfenbüttel ©B.Neeb

Treffpunkt WoBü – im Netzwerk der Literaturübersetzung

Im Jahr von Literaturübersetzenden gibt es mehrere Fixpunkte: die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, dazu je nach Sprache und Genre weitere Messen wie die Kinder- und Jugendbuchmesse in Bologna – und dann das Wolfenbütteler Gespräch. Zu dieser traditionell im Juni stattfindenden Tagung mit Lesungen, Preisverleihung, Workshops und vor allem Austausch unter Kolleg*innen kamen auch in diesem Jahr wieder rund 250 Übersetzende zusammen.

Der Verein Weltlesebühne e.V. wurde ebendort vor 15 Jahren gegründet. Seitdem erweitert er dieses lange Wochenende, um am Vortag zur Mitgliederversammlung einzuladen. Hier kann man in Ruhe erfahren, was die über den gesamten DACH-Sprachraum verteilten Mitglieder veranstaltet haben, wie es um die Finanzen bestellt ist und welche Pläne es für die Zukunft gibt.

Hier einige Impressionen dieses ereignisreichen Wochenendes in der Lessingstadt Wolfenbüttel:

Ganz oben in Schünemanns Mühle, dem malerischen „Theaterdach“ der Bundesakademie für Kulturelle Bildung, fand am Donnerstagabend und Freitagmorgen die Mitgliederversammlung der Weltlesebühne statt. Neben Vereinsdingen wie die Zukunft des internationalen „Festivals für Literaturübersetzung“ in Berlin translationale sind die neuen Initiativen der Jungen Weltlesebühne hervorzuheben, um auch außerhalb von Berlin Leseförderung und sprachliche Vielfalt zu feiern.

Bei der Eröffnung der Tagung hatte der Präsentationsfilm des VdÜ Premiere, in dem  Mitglieder schildern, was der Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V. für sie bedeutet. Ebenfalls zum ersten Mal gezeigt wurde ein Kurzclip zum 70. Geburtstag des VdÜ mit Danksagungen für den unermüdlichen Einsatz des Verbandes. Die entsprechenden Stimmen hatten die Weltlesebühnenmitglieder Julian Müller und Barbara Neeb Anfang März während der MV des VdÜ in Düsseldorf gesammelt. Beide Clips sind auf dem Youtubekanal der Weltlesebühne zu sehen.

Der VdÜ wird 70! Aus diesem Anlass schenkte der Verband seinen Mitgliedern den Comic Im Kopf der Übersetzerin. Der zweite Vorsitzende Andreas Jandl bat dazu Dorothea Traupe, Jona Neugebauer und Myriam Alfano (Weltlesebühnenmitglied) auf die Bühne, mit deren jeweiliger Übersetzung, zusätzlichen Zeichnungen und Graphic-Novel-Erfahrung dieser großartige Comic ins Deutsche fand.

In der Kaffeepause unterhielt sich Annette Kopetzki, vor wenigen Tagen mit dem Mazzucchetti-Gschwendner-Übersetzungspreis geehrt, mit Kolleginnen aus der italienisch-deutschen Literaturübersetzung über den Ehrengastauftritt Italiens auf der Frankfurter Buchmesse 2024. Dazu wird die Digitale Weltlesebühne eine Playlist mit rund 20 Kurzclips von Übersetzerinnen erstellen, um die Bücher und deren deutsche Stimmen zu präsentieren.

Jens Wawrczeck hielt den Festvortrag „Rolle vorwärts – vom Spiel mit dem Text“. Der u.a. als Peter Shaw aus Die drei ??? bekannte Schauspieler, Autor und Synchronsprecher berichtete aus seiner Erfahrung, wie man in Rollen schlüpfen und zur entsprechenden „Stimme“ finden kann. Das Publikum konnte viele Parallelen zum Übersetzen von Literatur entdecken.

Vor sachkundigen – und besonders kritischen – Kolleginnen und Kollegen zu lesen ist etwas ganz Besonderes. Das Lesefest stand diesmal unter dem Motto „Lass die Sau raus!“. Maria Meinel, die zusammen mit Birgit Schmitz (beide Weltlesebühnenmitglieder) in diesem Jahr das Lesefest zum letzten Mal organisierte, hatte die Uhr der neuen Speedbühne fest im Blick. Robert M. Maier, der zu seinem Übersetzungsschwerpunkt Brett- und Rollenspiele für die Weltlesebühne ein Video erstellt hat, las eine blutige Passage aus der Rollenspielkampagne Berge des Wahnsinns von Charles Engan.

2024 wurde mit Karin Betz wieder einmal ein Mitglied der Weltlesebühne mit dem Helmut-M.-Braem-Übersetzer-Preis ausgezeichnet. Ein Einblick in einen Drehtermin der Digitalen Weltlesebühne: Julian Müller sucht die richtige Beleuchtung für das Interview, das demnächst in der Reihe „Preisgekrönte Häupter der Übersetzungskunst“ auf dem Kanal der Weltlesebühne zu finden ist. apl. Prof. Dr. Vera Elisabeth Gerling vom Studiengang „Literaturübersetzen“ der Heinrich-Heine-Universität  und Karin Betz besprechen letzte Fragen. Gedreht wurde zwischen den sagenhaften zwanzig Workshops und vor dem Festakt am Abend.

Schließlich war es soweit: Am Samstagabend überreichte Beate Frauenschuh als Präsidentin des Freudeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen Karin Betz den Helmut M.-Braem-Übersetzerpreis. Der mit 12.000 Euro dotierte Preis würdigt ihre Übersetzung des Romans Meine Stadt der Hongkonger Autorin XiXi und zugleich das übersetzerische Lebenswerk von Karin Betz. Mehr dazu hier auf unserem Blog.

Prof. Dr. Philipp Theisohn von der Universität Zürich hielt die Laudatio. Darin sagte er: „In der Übersetzung von Xi Xis Wu cheng hat Karin Betz einmal mehr das ihr ganz eigene, unnachahmliche Vermögen unter Beweis gestellt, die Schwingungen großer Literatur lesbar werden zu lassen. Ihre Stadt ist nicht dieselbe Stadt, die Xi Xi bewohnt hat, aber Xi Xi hat eine Stadt bewohnt, die ohnehin niemals dieselbe war und geblieben ist.“ Die ganze Laudatio zum nachlesen hier.

Die sichtlich gerührte Karin Betz schilderte in ihrer Dankesrede, wie sie trotz oder gerade wegen eines bildungsfernen Hintergrunds die Liebe zum Chinesischen entdeckte. Sie nahm das Publikum mit zu ihrem Auslandsaufenthalt, wo ihr Kalligraphie-Lehrer sie an seinem Wissensschatz teilhaben ließ und Lebensweisheiten vermittelte. Und ließ mit einigen Passagen aus ihrer Übersetzung die Rede ausklingen.

Der Suhrkamp-Verlag, in dem der preisgekrönte Roman erschienen ist, spendierte den Sekt für einen allgemeinen Toast. Danach wurde gefeiert mit einem leckeren Büffet des VdÜ und u.a. einem Fass Bier, das der Bürgermeister der Stadt Wolfenbüttel zum 70. Jubiläum gestiftet hatte. Traditionell wurde auch getanzt – Ingo Herzke und Cornelius Harz baten die Kolleg*innen auf die Tanzfläche.

Den Abschluss der Jahrestagung bildet jedes Jahr eine Begegnung eines/r deutschsprachigen Autors/in mit seinen/ihren Übersetzerinnen. Mithy Sanyal sprach mit der serbischen Ana Mitrevski und der dänischen Ditte E Hermansen über ihren Roman Identitti (erschienen 2021 im Hanser Verlag). Moderiert wurde die höchst amüsante Begegnung in der Kommisse von Dania Schüürmann.

Zum Abschluss noch mal ein Essen auf dem Weg, ein letztes Selfie – dann war wieder ein „Woodstock der Übersetzenden“ zu Ende. Wunderschön und prall wie immer. Alle Teilnehmer*innen reisten erschöpft, aber mit viel Freude im Herzen über dieses wunderbare Netzwerk der Literaturübersetzenden nach Hause. Voller Vorfreude auf das nächste Jahr. Das 20. Wolfenbütteler Gespräch findet vom 27. bis 29. Juni 2025 statt. Und am Tag davor beginnt die Mitgliederversammlung der Weltlesebühne.

Texte und Fotos: Barbara Neeb

 

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