Ein Gespräch mit den Kuratorinnen
Es ist soweit: nach Café Ü – in Freiburg übersetzt geht am 1. Oktober 2021 ein weiteres deutsches Festival zum Thema Literaturübersetzen an den Start: die translationale berlin soll zum festen Bestandteil der Literaturfestival-Landschaft in Deutschland werden. Wir haben mit den fünf Kuratorinnen, Nora Bierich, Claudia Hamm, Aurélie Maurin, Eva Profousová und Dorota Stroińska, über Konzepte, Ziele und Pläne für das Festival gesprochen.
Mit der translationale bekommt Berlin ein neues Festival, bei dem es um das literarische Übersetzen, seine Protagonist*innen und Übersetzungskunst geht. Wie und wann ist es denn zu dieser Idee gekommen? Und wo kam die Weltlesebühne ins Spiel?
Dorota:
Das Thema eines Festivals für Literaturübersetzung lag schon lange in der Luft. Es schien verwunderlich, dass es in einem Land mit solch einer lebendigen Übersetzungskultur noch kein eigenes Festival gab, das sich den Übersetzer:innen und ihrer Kunst widmete. In Gdańsk gibt es schon seit 2013 das internationale Festival Odnalezione w tłumaczeniu (Found in Translation), in Bellinzona seit 2006 das Festival für Literatur und Übersetzung Babel.
Im Frühjahr 2019 verdichteten sich schließlich die Ereignisse, ergaben sich glückliche Fügungen; die Zeit war reif. Die Weltlesebühne feierte gerade ihr zehnjähriges Jubiläum – 10 Jahre erfolgreiches Engagement für die größere Sichtbarkeit literarischer Übersetzer:innen und mit TOLEDO der internationalen Sparte des DÜF, war ein Jahr zuvor ein innovatives und den Austausch von Übersetzer:innen weltweit förderndes Programm gestartet.
Die immer noch existierende Leerstelle auf internationalen Literaturfestivals stärkte unsere Emanzipationskräfte noch. Der Entschluss, ein eigenes Festival zu gründen und uns als Subjekte der Literaturübersetzung im öffentlichen Raum zu behaupten, stand fest. Am 13. Februar 2020 fand mit Nora Bierich, Claudia Hamm, Aurélie Maurin, Eva Profousová und Dorota Stroińska in Aurélies Küche die konstituierende Sitzung statt. Und ein Jahr später kam der Geldsegen…
Aurélie:
Von Anfang an war TOLEDO auf Kooperationen ausgerichtet und getrieben von der Freude an kollektivem Arbeiten und Vernetzungslust – vor Augen immer die große Bühne. Für die Ausrichtung eines Festivals kam sofort ein Zusammenschluss von TOLEDO und der Weltlesebühne ins Spiel – beide wie füreinander gemacht, ganz im Sinne gegenseitiger Befruchtung unserer Aktivitäten und Zielsetzungen. Die verschiedenen Expertisen und Netzwerke, die die Arbeit von TOLEDO und Weltlesebühne prägen, konnten wir für das Festival in einen produktiven, translationalen Austausch bringen.
Ihr seid ein internationales Team, aber alle ansässig in Berlin. Was, außer dem Übersetzen an sich, verbindet euch, lässt euch zum Team werden und treibt euch an und um?
Claudia:
Was uns verbindet, ist die Entdeckungslust, wie man das Thema erfahrbar machen kann. Wir haben unterschiedliche Zugänge; die Sprachen und Biografien, die im Team präsent sind, bringen auch verschiedene Praktiken des Übersetzens bzw. der Konzeption von Veranstaltungen herein. Das ist in jeder Hinsicht spannend.
Dorota:
In der Tat, wir sind ein internationales und weibliches Team – fünf Frauen unterschiedlicher Herkunft – Polen, Deutschland Ost und West, Tschechien und Frankreich. Es ist vielleicht diese Vielfalt an Sprachwelten und Weltzugängen, Selbst- und Literaturverständnisarten, die uns verbindet. In unserer zweijährigen Zusammenarbeit fanden Prozesse statt, die mit denen beim Übersetzen von Texten durchaus vergleichbar sind, wenn wir Übersetzen nicht nur als eine intime Begegnung mit einem literarischen Text, sondern auch eine Art betrachten, Beziehungen zwischen Menschen und Kulturen aufzubauen, mit all jenen produktiven Reibungen, die zu einem vertrauensvollen und freundschaftlichen Umgang miteinander führen. Es geht in unserer Teamarbeit nicht darum, eine einzige „richtige“ Lösung zu finden, sondern vielmehr die verschiedenen „Stimmen“ zu einem Chorgesang zu entwickeln oder die einzigartigen Blüten zu einem bunten Strauß zu binden.
Wenn ich mir die Website der translationale anschaue, fällt auf, dass ihr mit dem Konzept dieses Festivals nicht nur die Arbeit der Übersetzenden in den Fokus rücken, sondern darüber hinaus vor allem die soziale Bedeutung des Übersetzens untersuchen wollt. Könnt ihr diesen spannenden Ansatz etwas genauer erläutern?
Nora:
Übersetzer:innen sind zunächst einmal Textarbeiter:innen, sie sind intensiv mit „ihren“ Büchern beschäftigt und sind diejenigen, die sie bestimmt am gründlichsten lesen. Übersetzen ist zugleich viel mehr als die Arbeit am Text, oft entdecken die Übersetzer:innen ihre Bücher auch, setzen sich für die Autor: innen ein, sie kennen das Land und die Kultur. Sie sind im besten Sinne Kulturvermittler:innen, denn sie lassen die Schriftsteller:innen unterschiedlichster Länder in ihren Worten zu Wort kommen.
Das Festival bietet die Chance, nicht nur die literarische, sondern auch die gesellschaftliche Praxis des Übersetzens zu reflektieren: Wie positionieren sich die Übersetzer:innen im Produktionsprozess der Literatur? In welchem Verhältnis stehen Literaturen aus „größeren“ und „kleineren“ Sprachen, aus vermeintlich zentralen und peripheren Regionen der Welt zueinander? Was wird übersetzt und was nicht? Und wie wirken sich die aktuellen Migrationsbewegungen auf das Schreiben und das Übersetzen aus?
Wie setzt sich das Programm der translationale nun zusammen und unter welchen Gesichtspunkten habt ihr die Akteur:innen ausgewählt?
Claudia:
Da wir fünf Kuratorinnen sind, ist von Gesprächen, Performances und Präsentationen zur literarischen Sprache der Übersetzung bis zu solchen über das, was auf dem Literaturmarkt mit Texten und dazugehörigen Akteur:innen passiert, vieles dabei, außerdem bringen wir verschiedene Medien zusammen, Filme und Fotografien über bzw. von Übersetzenden sind ebenso vertreten wie benachbarte Disziplinen, etwa Hörspiel, Gebärdenlyrik, Literatur- und Kulturwissenschaft, Literaturkritik …
Die Gäste sind entweder Expert:innen auf den jeweiligen Gebieten oder es gibt selbstreflexive Veranstaltungen, in denen wir offen über unser Tun nachdenken wollen. Darüber hinaus erleben sie die Veränderungen der Welt durch die Sprache: wenn sie aktuelle Bücher übersetzen, sind sie mit neuen Sprachformen konfrontiert, und ältere Texte müssen sie in eine für die Gegenwart lesbare Sprache bringen.
Aurélie:
Dem TOLEDO-Programm eröffnet die translationale eine ideale Bühne für die Experimentierfreudigkeit seiner Veranstaltungsformate und das Zusammentreffen vieler Verbündeter und langjähriger Kompliz:innen – z.B. Anja Kapunkt, die schon die TOLEDO-Auftaktveranstaltung mit ihren Fotos strahlen ließ und die uns mit ihrer Kamera in viele „Cities of Translators“, zuletzt Budapest, begleitet hat. Oder die Dead Ladies Show, mit der wir des Öfteren auf Tour waren – und die bei der translationale zum ersten Mal in ihrer Heimatstadt Berlin mit einem Übersetzungs-Special auftreten wird. Bei der Gestaltung des Festivalprogramms haben wir gemeinsamen – mit translationalem Blick – auf ein breites Spektrum an Sprachwelten und ein ausgewogenes Verhältnis von Themenkomplexen, Orten und Stimmen geachtet.
Durch die Fördergelder über Neustart Kultur hat es ja sicherlich für diese erste Edition 2021 eine Startsituation gegeben, die euch einen besonderen Spielraum zur Realisierung eurer Ideen ermöglicht hat. Welche Zukunftsperspektiven seht ihr? Habt ihr z.B. vor, diesem „Pilot-Festival“ in den kommenden Jahren weitere folgen zu lassen?
Claudia:
Ja, die translationale soll verstetigt und die Arbeit mit all unseren Partner:innen fortgeführt werden. Wir hoffen, dass wir eine langfristige Förderung für dieses Festival finden, das ja eine Kunstsparte vertritt (und mit anderen verknüpft), die in Deutschland noch kein regelmäßig stattfindendes Festival hat. Es kontaktieren uns übrigens jetzt schon Leute mit Vorschlägen für die nächste Ausgabe. Wir sehen das Projekt als ein offenes, auch in der Zusammensetzung des Teams und der Internationalität der Ausrichtung. Aber es war wichtig, dass wir erstmal ein Gefäß und einen Startpunkt schaffen konnten.
B.E.