B.Neeb, M.Heimburger, Lisa Kögeböhn, Aysen Ritzauer ©Verena Schmidt

Leipziger Buchmesse: Podiumsdiskussion zum Wert literarischer Übersetzung und ihrer Urheber:innen

Ein Beitrag von Verena Schmidt, freie Autorin, Speakerin und Messekoordinatorin der BücherFrauen e.V.

Auf der Buchmesse in Leipzig sprach WLB-Mitglied und BücherFrau Barbara Neeb für die BücherFrauen mit Literaturübersetzerinnen, die auf unterschiedlichen Karrierestufen aus verschiedenen Sprachen und Genres übersetzen.
Zum Jahresthema des Frauennetzwerks diskutierten unter dem Titel „Die im Dunkeln sieht man nicht – Übersetzerinnen rücken ins Licht“ die erste Vorsitzende des VdÜ, Marieke Heimburger, die gefragte Übersetzerin Lisa Kögeböhn sowie die aus dem und ins Türkische Übersetzende Aysen Ritzauer. In der von Barbara Neeb moderierten Veranstaltung der BücherFrauen e.V und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wurde leidenschaftlich debattiert und dem staunenden Publikum auch die Schattenseiten des Übersetzer:innenberufs präsentiert.

„Denn die einen sind im Dunkeln
  Und die andern sind im Licht.
  Und man siehet die im Lichte
  Die im Dunkeln sieht man nicht.“

Als Einstieg las Barbara Neeb das vollständige Zitat von Brecht und meinte, anders als wohl in der Dreigroschenoper, wo sich im Dunkeln gern die Schattengestalten tummeln, die Literaturübersetzerinnen sehr wohl gesehen werden wollen. Die Unsichtbarkeit beträfe übrigens auch die männlichen Vertreter der Zunft, was in einer Branche mit einem Frauenanteil von 70-80 Prozent wahrscheinlich doch ein strukturelles Problem sei.
(Foto: Barbara Neeb ©Verena Schmidt)

Übersetzen ist eine eigene Kunstform – Übersetzer:innen gehören aufs Cover

Marieke Heimburger stellte klar, dass Übersetzen eine anerkannte Kunstform ist und Übersetzer:innen die Urheber:innen der deutschsprachigen Texte sind. Alle Teilnehmerinnen waren sich darin einig, dass die Übersetzenden deshalb auf das Cover gehören.
Wenn Übersetzer:innen nie deutlich sichtbar genannt werden und sie weiterhin im Dunkeln bleiben, so Instagrammerin Kögeböhn, werden sie niemals eine kaufkräftige Zugkraft entfalten können. Der Platz auf dem Cover geht für sie weit über jegliche Eitelkeit hinaus. Denn wer sichtbar, bekannt und gut ist, hat einen viel größeren Hebel bei Honorarverhandlungen und damit einen maßgeblichen Einfluss auf die finanzielle Wertschätzung.

Literarische Übersetzung und ihr Stellenwert in der Türkei

In der Türkei wird beides getrennt: Übersetzer:innen verdienen zwar noch weniger als in Deutschland, aber der eigene Name auf dem Cover ist ihnen gewiss, berichtet die Belletristik- und Lyrik-Übersetzerin Aysen Ritzauer. Sie verdeutlicht zudem eindrucksvoll, dass es ohne Übersetzungen keine fremde Literatur und Kunst gibt. Erst durch den Akt der Übertragung werden uns fremde Kulturen zugänglich. Eine Verständigung wird erst möglich.

(Foto: Aysen Ritzauer ©Verena Schmidt)

Warum ist die Sichtbarkeit von Übersetzer:innen so wichtig?

Ohne Sichtbarkeit sind diese selbst bei unterschiedlicher Qualität austauschbar. Vor zweihundert Jahren war die Lage übrigens ganz anders. Damals zählte mehr, dass beispielsweise der berühmte Johann Wolfgang von Goethe die Übersetzung angefertigt hatte, ein Ursprungs-Autor wie Shakespeare wurde eher im Kleingedruckten erwähnt, so Barbara Neeb. Für Marieke Heimburger ist klar, dass diese Ersetzbarkeit aufhören und sich Qualität auch im Honorar spiegeln muss. Die erfahrene Übersetzerin hat in über 25 Jahren ohne nennenswerte Honoraranpassungen mittlerweile über 65 Bücher übersetzt. „Wir müssen uns mit denjenigen verbünden, die Bücher lesen“ meint sie.


Möglichkeiten zur Sichtbarmachung von Übersetzer:innen

Am Hieronymus Tag, dem internationalen Tag der Übersetzung widmet sich der Verein Weltlesebühne gern mit dem Format „Das Gläserne Übersetzen“ der Sichtbarmachung von Übersetzer:innen und ihrer Arbeit. Bei den Veranstaltungen ist das Publikum jedes Mal geflashed, nachdenklich und beglückt. Hier werden Menschen erreicht, die sich sonst kaum Gedanken über die abwechslungsreiche Tätigkeit des Übersetzens gemacht haben, schwärmt Heimburger.

Auf der Socialmedia Plattform Instagram postet Lisa Kögeböhn. Dort berichtet sie – neben ihrem Hobby Backen – über ihren Arbeitsalltag und die Fallstricke ihrer Tätigkeit. Online beleuchtet sie alle Facetten der Übersetzungskunst. Mittlerweile erreicht die Instagrammerin über 2000 begeisterte Menschen und erfreut sich einer großen Nachfrage, so dass sie sich mittlerweile ihre Aufträge aussuchen kann. Sichtbarkeit bringt also vor allem auch eines: eine verbesserte Verhandlungsposition. Für Verlage ist das keineswegs ein Nachteil. Denn niemand kann besser von einem Buch schwärmen, als diejenigen, die es übersetzt haben.
(Foto: Lisa Kögeböhn ©Verena Schmidt)

Auch Aysen Ritzauer ist auf Instagram aktiv und nutzt es, um sich ein persönliches Netzwerk aufzubauen, in dem man auch viel übereinander und voneinander lernen kann.


Und die Chancen für Verlage?

Werden die Übersetzer:innen nun noch prominent und sichtbar genannt, dann erhöht es zusätzlich die Beliebtheit der Verlage. Während der Podiumsdiskussion wurden direkt einige Verlage aufgezählt, die den Mut hatten, sich von konservativen Ansichten zu befreien, Übersetzer:innen besonders wertschätzen und auch auf dem Cover nennen, darunter der Mare-Verlag, Dörlemann und Second Chances.

Wir sind Interpretinnen, aber Hochliteratur findet im Prekariat statt

Barbara Neeb, die im Verein Weltlesebühne sehr aktiv ist, vergleicht diese Nennung auf dem Cover mit Musikstücken. Es zählen nicht nur die Komponist:innen, sondern vor allem auch die Interpret:innen. Übersetzer:innen interpretieren das fremdsprachige Original und machen es einer anderen Kultur zugänglich.
Doch „die Hochliteratur findet im Prekariat statt“, bedauert sie mit Verweis auf die seit 20 Jahren unveränderten Honorare. Sie betonte allerdings, dass die herausfordernde Arbeit mit geistigen Reisen in fremde Welten jung halte und meinte optimistisch: „Wir sind zufriedene Menschen, wenn man uns trifft.“

Woraufhin Marieke Heimburger, VdÜ umgehend klarstellte: „Aber man trifft uns nicht auf den Seychellen.“ Erst recht nicht, wenn die Literatur-Interpret:innen im Dunkeln und damit austauschbar bleiben.

Übersetzungen können de facto zur Kaufentscheidung führen,

so Marieke Heimburger, wenn die Leser:innen es wissen. Sie haben ein Recht auf Information. Und genau an diesem Punkt können alle aktiv werden. Barbara Neebs Aufruf am Ende der mit tosendem Beifall gewürdigten Debatte lautete: Geht in die Buchläden und fragt aktiv, laut und ständig: wer hat es übersetzt? Damit die Übersetzer:innen der nächsten Generation auch exotische Urlaube genießen und noch inspirierender interpretieren können!
(Foto: Marieke Heimburger ©Verena Schmidt)

Barbara Neeb, die in München und Heidelberg Vergleichende Literatur- und Übersetzungswissenschaft studiert hat, bringt seit vielen Jahren – gerne auch im Team – Literatur aus dem Italienischen, Englischen und auch Französischen ins Deutsche, in einer großen Bandbreite von Belletristik bis hin zum Bilderbuch. Ebenso leidenschaftlich engagiert sie sich im Verein Weltlesebühne e.V. mit Präsenz-Veranstaltungen und einem Youtube-Kanal für die Sichtbarmachung von Literaturübersetzenden.

B.Neeb, M.Heimburger, Lisa Kögeböhn, Aysen Ritzauer ©Verena Schmidt

Marieke Heimburger hat in Düsseldorf Literaturübersetzen für Englisch und Spanisch studiert und seither über sechzig Bücher aus dem Englischen und Dänischen übersetzt – eine bunte Mischung aus anfangs eher trivialer und im weiteren Verlauf eher anspruchsvoller Belletristik. Sie ist seit Abschluss des Studiums 1997 BücherFrau und seit ihrem ersten Übersetzungsvertrag 1998 aktives, engagiertes Mitglied des VdÜ. 2021wurde sie zur 1. Vorsitzenden gewählt.

Lisa Kögeböhn
, geboren 1984 in Norddeutschland, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und Strasbourg. Seit 2010 übersetzt sie Romane und Sachbücher aus dem Englischen, darunter Autor*innen wie Kevin Kwan, Megan Nolan und Coco Mellors. Wenn sie nicht am Schreibtisch sitzt, setzt sie sich auf Instagram für die Sichtbarkeit ihres Berufs ein. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und lebt mit ihrer Familie in Leipzig.

Aysen Ritzauer studierte Philosophie in Ankara, ist Vollmitglied als Literaturübersetzerin beim VdÜ seit 2004 und übersetzt aus dem Deutschen ins Türkische von Belletristik, Autobiografien bis zu Lyrik. Sie kann Insider-Wissen aus der türkischen Literaturszene beitragen, wo zum Beispiel die Nennung auf dem Cover eine Selbstverständlichkeit ist.

Zur Autorin: Verena Schmidt ist freie Autorin im Bergverlag Rother. Nach ihrem Studium der Ethnologie & Internationalen Beziehungen in Tübingen arbeitete sie als Reiseleiterin auf verschiedenen Kontinenten und ist seit 2020 bei der Sektion Schwaben des DAV in Stuttgart tätig. Über Westkanada schreibt sie unter www.starliteandwild.de

(Redaktion: K.S.)




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