Wieder einmal geht es hier um KI, Künstliche Intelligenz und Literaturübersetzen. Wie zu erwarten nimmt dieses Thema auch für Literaturübersetzende zunehmend mehr Raum in den Überlegungen ein. Sie geistert durch Zukunftsvisionen, die besorgniserregend sind.
Auf unserem Blog haben wir bereits mehrere Beiträge zum Thema veröffentlicht, u.a. zum Manifest für menschliche Sprache, einem Offenen Brief zur KI-Verordnung der EU, der Ende Februar 2024 als Petition auf change.org veröffentlicht wurde.
Außerdem gibt es auf dem YouTube-Kanal der Weltlesebühne e.V. eine Playlist mit Videos und Clips zum Thema Künstliche Intelligenz.
KI – Eben noch Zukunftsvision – nun bereits Realität
Für Verlage stellt KI eine verlockende Möglichkeit in Aussicht, Literatur kostengünstig und schneller übersetzen zu lassen: Die KI übernimmt die Übersetzung und Übersetzende werden lediglich mit dem Post-Editing beauftragt – zu einem wesentlich geringeren Honorar.
Uns allen war natürlich längst klar, dass über kurz oder lang Anfragen dieser Art kommen würden. Aber dass die Realität uns so schnell einholen würde, ist dann doch überraschend. Und vor allem äußerst beunruhigend: Die Entwicklung ist rasant!
Das bekommen Literaturübersetzer*innen nun bereits ganz konkret in ihrem Alltag zu spüren.
Ein Angebot für einen Post-Editing-Auftrag geht viral
Verlage beginnen inzwischen, erste Projekte mit Künstlicher Intelligenz umzusetzen. Das bedeutet konkret, dass sie Übersetzer*innen oder Redakteur*innen ansprechen müssen und ihnen Angebote zu Post-Editing-Aufträgen vorlegen.
Janine Malz ist Übersetzerin aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen. Kürzlich flatterte ihr genau so eine Anfrage auf den Schreibtisch: Eine Lektorin bot ihr für den Verlag Bastei Lübbe das Post-Editing einer mit KI generierten Übersetzung aus dem Niederländischen an – zu einem Normseitenhonorar von 5€!
Auch wenn sie damit gerechnet hatte, dass so etwas irgendwann kommen würde, war sie regelrecht schockiert. Aber dieser Schock ließ sie nicht erstarren, sondern bescherte ihr einen kräftigen Adrenalinschub: Sie lehnte das Angebot ab und schrieb dazu eine ausführliche Begründung. Ihr Brief an die Lektorin beinhaltet all das, was alle Übersetzenden beschäftigt. Er beschreibt in aller Deutlichkeit das, was KI generierte Übersetzungen nicht allein für den Berufsstand, sondern für die Übersetzungskultur insgesamt, für die Literatur und die Kultur weltweit bedeutet.
Zu ihrer Überraschung kam die Antwort der Lektorin prompt und war sehr verständnisvoll. Sie bedankte sich ausdrücklich für die gründliche Argumentation und versprach, Janines Standpunkt im Haus darzulegen und den Umgang mit KI weiter zu diskutieren.
Janine Malz hat die Anfrage und ihren Brief inzwischen in den Social Media publik gemacht – mit einer Flut von Reaktionen nicht nur von Kolleg*innen, sondern auch von Lektor*innen, Künstler*innen anderer Sparten, Leser*innen. Allein bei Linkedin bekam ihr Beitrag mehr als 3000 Reaktionen und wurde 500 Mal geteilt. Diese Resonanz beweist, dass das Thema von größter gesellschaftlicher Relevanz ist.
Mit Janines Autorisierung veröffentlichen wir ihren Brief hier – denn er verdient es, so umfassend wie möglich geteilt und verbreitet zu werden.
Der Brief von Janine Malz an eine Verlagslektorin
Liebe Frau XXXXXX,
haben Sie vielen Dank für Ihre nette Anfrage, es freut mich sehr, dass ich Ihnen empfohlen wurde und ich Sie auf diesem Weg kennenlerne!
Tatsächlich habe ich aber große Vorbehalte, was das Redigieren von KI-generierten Übersetzungen angeht. Ich verstehe, dass es aus Verlagssicht verlockend klingt, Texte schneller und günstiger übersetzen zu lassen, aber lassen Sie mich erklären, warum das aus Übersetzerinnensicht eine fatale Entwicklung ist:
1) Post-Editing heißt, für ein geringeres Honorar in kürzerer Zeit einen deutschen Text zu schustern. Selbst wenn ich mir Mühe gebe, würde am Ende ein Text herauskommen, der qualitativ schlechter ist als ein Text, den ich selbst erschaffe. Das liegt in der Natur der Sache: Sobald erst einmal etwas auf Deutsch dasteht, ist es schwer, sich davon zu lösen und auf eigene, idiomatische (!) und kreative (!) Lösungen zu kommen. Außerdem hangelt sich die Maschine bei der Übersetzung 1:1 am Satzbau des Originals entlang und übersetzt jedes einzelne Wort, das machen Übersetzer*innen gerade nicht, sie übersetzen sinnerfassend, stellen um, suchen einen natürlichen Rhythmus in der Zielsprache, einen treffenden Ton für den Autor/die Autorin im Deutschen.
2) Post-Editing ist nur scheinbar ein Zeitgewinn: Wenn ich selbst übersetze, habe ich vor mir einen ausgangssprachlichen Text und meine unbeschriebene Word-Datei, in die ich meinen Text hineintippe. Beim Post-Editing muss ich aber erstmal den deutschen Output Satz für Satz mit dem Ausgangstext abgleichen, um Fehler zu entdecken und auszumerzen. Das kostet Zeit. Dann soll ich ja aber auch noch einen gut lesbaren, flüssigen Text daraus machen.
3) Übersetzen ist nicht nur Textarbeit, sondern auch Recherche: Wichtig ist, sich klar zu machen, dass die Maschine den Text nicht versteht. Sie versteht keine Anspielungen, Wortspiele, Witze, Bezüge, sprechende Namen. Als Übersetzerin bin ich oft in engem Austausch mit den Autor*innen, frage nach, was sie mit bestimmten Formulierungen meinen, ob „my dear cousin“ in der Danksagung weiblich oder männlich ist, ich recherchiere Fakten nach und finde nicht selten Fehler im Original, weil in anderen Ländern teilweise das Lektorat nicht so gründlich ist wie bei uns. Und wenn bestimmte niederländische Produkte, Institutionen oder Persönlichkeiten genannt werden, die hierzulande niemand kennt, suche ich ein Äquivalent, das auf Deutsch funktioniert.
4) Übersetzen ist nicht nur Textarbeit, sondern auch Beziehungsarbeit: Gerade den niederländischsprachigen Markt kennen wir Übersetzer*innen sehr gut und fungieren mitunter auch als Scouts, entdecken neue Bücher aus den Niederlanden und Flandern, bieten sie deutschsprachigen Verlagen an. Mitunter gehe ich mit meinen Autor*innen auch auf Lesereise, moderiere und dolmetsche das Gespräch, bewerbe die Bücher auf meinen Social-Media-Accounts. Das alles kann die KI nicht leisten. Ich kann das aber nur so lange leisten, solange ich von meiner Arbeit leben kann.
5) Übersetzen ist nicht nur Textarbeit, sondern auch lebenslanges Lernen: Ich fahre jedes Jahr, bezahlt aus eigener Tasche (!), zu den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, zu Fortbildungs-Workshops zu Übersetzungsthemen, zu den Übersetzerhäusern in Amsterdam und Antwerpen, um meine Sprachkenntnisse aufzufrischen, Kontakte zur dortigen Literaturszene zu pflegen und vor Ort mit meinen Autor*innen über Projekte zu sprechen.
6) Sie bieten einen Redaktions-, keinen Übersetzungsvertrag an. Das heißt für mich, ich erlange keine Urheberrechte an dem deutschen Text, ergo erhalte ich auch keine Beteiligung seitens des Verlags am Nettoverkaufserlös und keine VG-Wort-Ausschüttungen (Bibliothekstantiemen). Das ist angesichts der bescheidenen Honorare aber ein wichtiger Baustein in meinem Einkommen. Außerdem ist die Frage, wer ist dann überhaupt Urheber am deutschen Text? Das kann juristisch immer nur ein Mensch sein, keine Maschine.
Was ich mit all dem sagen will: Übersetzen ist nicht nur ein Beruf, es ist Berufung. Meine Kolleginnen und Kollegen arbeiten oft weit über eine normale 40-Stunden-Woche hinaus und tragen als Freiberufler*innen zusätzliche Risiken – niemand bezahlt uns, wenn wir krank oder im Urlaub sind. Das Durchschnittshonorar ist seit Jahrzehnten inflationsbereinigt und gemessen an den Lebenshaltungskosten gesunken (!), viele bekommen eine so geringe Rente, dass sie weiter arbeiten müssen.
Wir Übersetzer*innen organisieren ehrenamtlich (!) Tagungen, Workshops, Lesungen, es gibt eigene Online-Magazine zur übersetzten Literatur, eigene Studiengänge zum Literarischen Übersetzen (ins Leben gerufen und unter Beteiligung von Literaturübersetzer*innen als Dozent*innen!) usw.
Warum wir das machen? Wir lieben unseren Beruf, wir lieben Literatur und setzen uns dafür mit all unserem Können und unserer Erfahrung ein. Wenn Verlage nun aus Kostengründen die Honorare weiter absenken, werden immer mehr Kolleg*innen in andere Berufe ausweichen, weil sie schlicht nicht mehr davon leben können. Damit geht all das verloren, was ich oben geschildert habe.
Mir ist bewusst, dass Sie persönlich nicht dafür verantwortlich sind, aber ich möchte Sie bitten, das alles zu bedenken und auch im Verlag anzusprechen, denn die Umstellung auf Post-Editing macht all das kaputt, was wir uns über Jahrzehnte aufgebaut haben.
Außerdem war mein Credo immer: Jedes Buch hat es verdient, gut übersetzt zu werden. Das würde ich auch der Autorin XXXXXX wünschen, zumal wenn sie, wie Sie sagen, mit Witz und Humor schreibt. Kurzum: Die Übersetzung übernehme ich gern zu einem normalen Übersetzungshonorar, eine Redaktion zu den von Ihnen genannten Konditionen nicht. Ich kann Ihnen auch keine Kolleg*innen empfehlen, denn die, die ich kenne, sehen das genau wie ich.
Herzliche Grüße
Janine Malz
Feedback
Das Feedback der Lektorin mag sicherlich Anlass zur Hoffnung geben. Auch haben offensichtlich einige Verlage nach ersten Versuchen mit KI-Übersetzungen ihre Testphasen wieder eingestellt, weil die Ergebnisse zweifelhaft und nicht überzeugend waren.
Aber alles in allem zeigt diese Geschichte, dass wir es nicht müde werden sollten, Überzeugungsarbeit zu leisten, wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Denn es droht durchaus die Gefahr, dass die Entwicklung uns sonst überrollt.
Daher noch unsere Bitte an übersetzende Kolleg*innen um ein Feedback: Wie sind eure bisherigen Erfahrungen zum Thema KI? Habt ihr auch bereits Anfragen für „Post-Editing“ bekommen? Meldet euch gern bei uns unter blog@weltlesebuehne.de
Wir werden auf jeden Fall hier auf unserem Blog weiter über die aktuellen Entwicklungen berichten!
B.E.