©privat Karin Betz, Ursula Gräfe

Haruki Murakami „Drive my Car“ – Japanisch-Workshop mit Übersetzerin Ursula Gräfe bei Nippon Connection Frankfurt

Die Weltlesebühne ist seit Jahren beim größten europäischen Filmfestival Nippon Connection – Profile vertreten. Karin Betz, Übersetzerin aus dem Chinesischen und Kulturmittlerin organisiert und moderiert (nicht nur) dort regelmäßig Veranstaltungen für die Weltlesebühne, diesmal einen Übersetzungsworkshop mit Ursula Gräfe, Übersetzerin aus dem Japanischen, u.a. von Haruki Murakami.

 „Vielleicht hätten wir das mit den fortgeschrittenen Japanisch-Kenntnissen nicht in die Ankündigung schreiben sollen? Was machen wir, wenn keiner kommt? Wenn fünf kommen, geht es ja. Was meinst du?“
(Unterhaltung zwischen Karin Betz und Ursula Gräfe vor dem Workshop)

Glücklicherweise klärte uns Marie-Claire Richardson vom Nippon Connection-Team gleich auf, der Workshop sei mit 15 Teilnehmer:innen ausgebucht, und sie könnten nicht so viele Kopien zur Verfügung stellen, wie wir es gern gehabt hätten. (Was im Nachhinein völlig in Ordnung war, weil die 40 anvisierten Sätze sowieso zu viele waren.)

Unser Japanisch-Workshop fand im von Jenny und Raphael (NC-Team) mit Mobiliar und Technik für eine PowerPoint-Präsentation ausgestatteten Studio 2 im ersten Stock des Frankfurter Künstlerhauses Mousonturm statt.

Übrigens hatten Karin und ich dort schon früher gemeinsam Veranstaltungen zum Thema „Übersetzen von japanischer Literatur“ organisiert – zuletzt 2020 mit Kollegin Nora Bierich zu Yukio Mishima im Stream [ Translating YUKIO MISHIMA – Masks, Identities, Ideals // 20th Nippon Connection Film Festival – YouTube ].

Der Workshop, bei dem ganz praktisch an einem Text aus dem Japanischen übersetzt wurde, war allerdings eine Premiere. Teilgenommen haben junge Japanolog:innen und Japanisch-Lernende, von denen ich drei schon aus anderen Veranstaltungen kannte.

 Gestiegene Anforderungen bei stagnierenden Übersetzungshonoraren

Am Anfang standen die beruflichen Heraus- und Anforderungen unseres Berufs, Besonders am Herzen lag es uns, den Teilnehmer:innen von den Veränderungen zu berichten, die unser Beruf in den letzten dreißig Jahren, also seit ich mit dem Übersetzen angefangen habe, erfahren hat: die gestiegenen Anforderungen an die Geschwindigkeit und die verbesserten technischen Möglichkeiten, aber auch die stagnierenden Übersetzungshonorare. Unbedingt hinweisen wollten wir auf den sich abzeichnenden künftigen Wandel durch maschinelles Übersetzen. In diesem Zusammenhang haben wir eine Veranstaltung der Weltlesebühne in Köln zum Tag der Übersetzung herangezogen. Anzuschauen hier: Künstliche Intelligenz als Literaturübersetzer? – Was künstliche neuronale Netzwerke können und was nicht – Das Blog der Weltlesebühne (weltlesebuehne.de)

Literarische Quellen und Zitate in Haruki Murakamis Erzählungen

In diesem Rahmen diskutierten wir auch mit den Teilnehmer:innen, wie entscheidend – jenseits aller technischen Hilfsmittel – die Beschäftigung nicht nur mit japanischer, sondern überhaupt mit der gesamten Weltliteratur für Literaturübersetzer:innen gestern, heute und morgen war, ist und sein wird.

Der im Workshop behandelte Text – eine Passage aus Haruki Murakamis Erzählung „Drive my Car“ aus dem Band Von Männern, die keine Frauen haben – eignete sich besonders zur Vertiefung des Themas, da gerade diese Erzählung in Dialog mit mehreren anderen literarischen, nicht-japanischen Werken steht.

 Die filmische Umsetzung durch den japanischen Regisseur Ryusuke Hamaguchi stützt sich nämlich nicht nur auf diese eine Erzählung, sondern auch auf eine zweite mit dem Titel „Scheherazade“. Beide Geschichten – „Drive my Car“ und „Scheherazade“ – docken inhaltlich an literarische Vorläufer an, nämlich Onkel Wanja von Tschechow (in der Erzählung und im Film wird in einem Workshop an der Aufführung dieses Stücks gearbeitet) und natürlich Märchen aus 1001 Nacht. Daneben finden sich mehrere andere Querverweise, zum Beispiel auf den Song „Drive my Car“ von den Beatles. Der Held heißt Kafuku, was durchaus an Kafka erinnert.

Nicht zuletzt verweist der Titel des Buches auf einen Band von Hemingway Men without Women, der auf Japanisch ebenfalls unter dem Titel 女のいない男たち (Onna no inai otokotachi) wie Murakamis Erzählband erschienen ist. Dennoch ist die Ausrichtung der Geschichten eine ganz andere. Hemingways sogenannte Code Heroes in Men without Women sind Boxer, Stierkämpfer, Soldaten usw., während Murakami seine „Männer ohne Frauen“ charakterlich beinahe als ihre Gegenstücke angelegt hat. In unserem Vorgespräch kam es uns darauf an, die internationale intertextuelle Einbettung der Geschichte zu verdeutlichen.

Haruki Murakami als Übersetzer

Zur Sprache kam auch die ausgedehnte Übersetzertätigkeit des Autors Haruki Murakami, der mittlerweile über 70 Werke der amerikanischen Moderne von Autor:innen wie Scott Fitzgerald, Ramond Carver oder Carson McCullers u.v.a. ins Japanische übertragen hat. Wir hatten den Eindruck großen Interesses und einer gewissen Nachdenklichkeit bei den Teilnehmer:innen, sodass die stilistischen Aspekte in der Diskussion einen deutlichen Raum einnahmen. Karin berichtete in diesem Zusammenhang über die Vorliebe für intertextuelle Referenzen und Zitate in der chinesischen Literatur und wies zu Vertiefung auf die TOLEDO — Journale (toledo-programm.de) des Deutschen Übersetzerfonds hin.

Und nun zur Praxis!

In einer viertelstündigen Stillphase übertrugen die Teilnehmer:innen die ersten Sätze, die sie mit einer Vokabelliste als Kopien erhalten hatten. Die „offizielle“ Übersetzung ins Deutsche wurde nicht mitgeliefert. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass sie bekannt war.

(*Kafuku empfand schon bei ihrer ersten Begegnung eine Art Sympathie für den Mann. Er hieß Takatsuki, war Anfang 40, groß, gut aussehend und geeignet für die Rolle des Liebhabers, aber kein besonders guter Schauspieler. Es fehlte eben an Präsenz, und seine Einsetzbarkeit war begrenzt. Meist spielte er einen sympathischen, nicht mehr ganz jungen Mann. Er wirkte immer freundlich, aber im Profil haftete ihm bisweilen etwas Melancholisches an, und er war der Schwarm aller älteren Damen. Kafuku begegnete ihm im Warteraum eines Fernsehsenders.“ Murakami Haruki, Von Männern, die keine Frauen haben, Köln 2014, S.31.)

Im Anschluss an diese Arbeitsphase wurde Satz für Satz vorgetragen. Die Textstelle erwies sich als geeignete Wahl, da sie einerseits die Sprachkenntnisse der Gruppe nicht überforderte, zugleich jedoch Gelegenheit bot, beispielhaft typische Schwierigkeiten aufzuzeigen, die sich beim Übersetzen aus dem Japanischen ergeben: die zeitliche Einordnung einer Handlung, die völlig andere Syntax, die Entscheidung für einen passenden Begriff aus einer größeren Auswahl von Vokabeln, der Mut zu dieser Entscheidung usw.
So reichten beispielsweise die vorgeschlagenen Übersetzungen für das vielschichtige japanische Wort kōi von „ins Herz schließen“, „Zuneigung“, „sympathisch sein“ bis hin zu „Liebe empfinden“. (In meiner Übersetzung: „Kafuku empfand bereits bei ihrer ersten Begegnung eine Art Sympathie für den Mann.“)

Als Letztes konnten die Teilnehmer:innen noch einmal Fragen stellen. Diese bezogen sich, wie Karin und ich es schon kannten, besonders auf die Möglichkeiten, als Berufseinsteiger:innen erste Aufträge zu akquirieren.

Text: Ursula Gräfe
Bilder: Powerpoint-Präsentation Ursula Gräfe

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