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Die Herausforderung des „Unübersetzbaren“ – Ulrich Blumenbach übersetzt James Joyce

Es scheint der unwiderstehliche Reiz zu sein, sich mit dem angeblich „Unübersetzbaren“ auseinanderzusetzen, der Ulrich Blumenbach die Herausforderung annehmen lässt, Finnegans Wake von James Joyce ins Deutsche zu übertragen. 

Finnegans Wake gilt als eines der legendärsten Werke der Literaturgeschichte: außergewöhnlich vielschichtig, schwer zugänglich, mit einer eigenen Sprache bzw. einer Vielzahl an Sprachen, die es zu entschlüsseln gilt, und zudem ohne Plot im konventionellen Sinn.

Bereits seit seiner Studienzeit hat Ulrich Blumenbach sich immer wieder damit  beschäftigt. Die Möglichkeit eines Übersetzungsprojekts für den Suhrkamp Verlag stand schon länger im Raum, aber erst vor relativ kurzer Zeit hat er diesen Auftrag angenommen. Allerdings ist „kurz“ im Zusammenhang mit diesem Übersetzungsprojekt tatsächlich relativ: Er ist inzwischen schon eine ganze Weile mit dieser Arbeit beschäftigt und sie wird ihn auf jeden Fall bis 2027 begleiten. 

Auszeichnungen

Ulrich Blumenbach selbst sieht in diesem Projekt sein „Meisterstück“. Mehrfach wurde er bereits für seine Übersetzungen besonders komplexer Romane der Weltliteratur ausgezeichnet: seine „Gesellenstücke“, sagt er selbst dazu. So erhielt er für die Übersetzung Unendlicher Spaß von David Foster Wallace (Kiepenheuer&Witsch, 2009) u.a. den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis (2009). Zuletzt wurde er 2022 für die Übersetzung des Romans Witz von Joshua Cohen (Schöffling & Co., 2022) mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet. Julian Müller von der Digitalen Weltlesebühne filmte anlässlich dieser Auszeichnung ein Interview, das Thomas Hummitzsch mit dem Übersetzer führte, zu sehen auf dem YouTube-Kanal der Weltlesebühne. Wenn man ihm da zuhört, kann man sich kaum vorstellen, dass es zu derart komplexen Arbeiten noch eine Steigerung geben sollte. 

An der Grenze der Übersetzbarkeit 

Doch die Herausforderung, der sich Blumenbach mit der Übertragung von Finnegans Wake stellt, wird nun all seine bisherigen Arbeiten übertreffen. Deshalb hat er auch bis auf weiteres alle anderen beruflichen Verpflichtungen, wie etwa Workshops und Konferenzen, auf Eis gelegt. Sie kosten jedes Mal viel Zeit. Und diese Übersetzung nimmt ihn in allen Lebensbereichen in Anspruch. Entgegen seiner Gewohnheit arbeitet er momentan auch abends, was private Zeit einnimmt. Einer der vielen Gründe, warum er auch lange und gründlich überlegt hat, ob und wann er sich an dieses „Meisterstück“ wagen kann – und will. 

Dieser Übersetzungsauftrag wird ihn in vieler Hinsicht an seine Grenzen führen. Zunächst einmal wird es die Grenzen der Übersetzbarkeit betreffen. Wenn man ihm zuhört, klingt das, als habe er sich auf ein gigantisches Forschungsprojekt eingelassen. Dabei ist er sich bewusst, dass es ihn nicht nur viel Arbeitszeit, sondern auch Lebenszeit kosten wird. Und somit wird es ihn auch an seine ganz persönlichen Grenzen führen. Dennoch wird ihn all das voraussichtlich weder berühmter noch reicher machen. Denn ein so schwieriges Werk wird nur eine begrenzte Leserschaft finden, d.h. auch keine hohen Auflagen und Umsätze erreichen. Thomas Hummitzsch fragte Ulrich Blumenbach im Interview, welche Bedeutung Preise wie der Paul-Celan-Preis für ihn als einen der gefragtesten Übersetzer ins Deutsche haben. Ulrich Blumenbachs Antwort ist eindeutig: Diese Preise sind nicht nur eine Anerkennung seiner Arbeit. Vielmehr sind sie für ihn existenziell wichtig. Denn Arbeiten mit Höchstansprüchen an das berufliche Können und von solchem Umfang kann sich eigentlich kein Übersetzer, keine Übersetzerin leisten. Der Arbeits- und Zeitaufwand steigt ins Unermessliche, das Normseitenhonorar steigt jedoch nicht proportionell dazu mit an. Warum tut er es dennoch? Ein Grund ist sicherlich die Lust, das Bedürfnis, die eigenen Grenzen auszutesten und, so möglich, zu überwinden. Aber das ist bestimmt nicht der einzige Grund…

Ein aktuelles Interview

Derzeit ist Ulrich Blumenbach Gast im Schweizer Übersetzerhaus Looren zu einem mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt. Dort gab er kürzlich in einem Interview mit Julia Willers Antworten auf viele Fragen zu seiner Arbeit an dieser sehr besonderen und aufwendigen Romanübersetzung, aber auch zu seinen eigenen Herangehensweisen beim Übersetzen, seiner eigenem Berufsauffassung. Diese Einblicke in die Übersetzerwerkstatt des Ulrich Blumenbach kann man hier auf dem Blog des Übersetzerhauses Looren nachlesen.

Biographisches: Ulrich Blumenbach wurde 1964 in Hannover geboren und lebt mit seiner Familie in Basel. Er übersetzt seit 1993 aus dem Englischen und dem amerikanischen Englisch, u. a. Werke von Stephen Fry, Jack Kerouac, Arthur Miller, Truman Capote, David Foster Wallace sowie Joshua Cohen. Für die Übersetzung von Wallace‘ „Unendlicher Spaß“ erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis und den Preis der Leipziger Buchmesse. Für die Arbeit an „Witz“ wurde er neben dem Paul-Celan-Preis mit dem Zuger Übersetzerstipendium und dem Kulturpreis der Stadt Basel ausgezeichnet.

B.E.

 

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