Premierenabend babelwerk.de, 14.01.2022, Literarisches Collqouium Berlin, v.l.n.r.: Marie Luise Knott, Johanna Steiner, Gesine Schröder ©Tobias Bohm

Wissenspool rund ums literarische Übersetzen – die neue Plattform Babelwerk

Ein Interview mit Johanna Steiner vom Deutschen Übersetzerfonds

Nach einem Jahr intensiver Arbeit ging am 14. Januar Babelwerk online, ein Projekt des Deutschen Übersetzerfonds (DÜF), gefördert von Neustart Kultur. Unter der Projektleitung von Johanna Steiner entstand eine Plattform, die die Vielfalt von Themen um die Literaturübersetzung abbilden, Magazin und gleichzeitig Archiv und Ressource für Literaturübersetzende sein will. Erst einmal Glückwunsch Ihnen und allen, die mitgearbeitet haben, zum erfolgreichen Start von Babelwerk.de. Diese Plattform ist sicher eine Bereicherung nicht nur für uns Literaturübersetzende.

Wie ist die Idee zur Plattform Babelwerk entstanden, gab es bereits ähnliche Initiativen, an denen Sie sich orientiert haben?

Am Anfang stand eine Frage, die sich der Vorstand des DÜF schon seit Jahren stellt: Wie kann man das vielfältige Wissen der Übersetzer:innen zusammentragen, wie kann man es bündeln, sodass es sich potenzieren kann? Das für Übersetzer:innen relevante Wissen ist typischerweise weit verstreut: Die Selbstverständigung und Wissensproduktion der Übersetzerzunft findet im Rahmen von Workshops und Gemeinschaftsprojekten, anlässlich von Ehrungen und Abschieden, in dezentralen Institutionen und Interessensclustern statt. Solche kollektiven Denkprozesse wollten wir sichtbar machen. Der Vorstand hatte dann die Idee, eine digitale Plattform aufzubauen, die dieses Wissen sammelt, aber auch durch neue Beiträge weiterspinnt.

Wirklich Fahrt aufgenommen hat das Projekt mit einem Brainstorming, zu dem wir im September 2020 ins LCB geladen hatten. Hier saßen im Großen Saal Übersetze:∙innen, Redakteur:innen von Literaturwebsites und -Zeitschriften und Wissenschaftler:innen zusammen und haben gemeinsam mit uns darüber diskutiert, wie man „das Wissen der Übersetzer:innen“ digital abbilden könnte. Das war ein tolles, inspirierendes Treffen, das mir viele Ideen und eine Menge Antrieb für die weitere Arbeit gegeben hat.

Ausgehend von diesem Treffen wurde mit der Konzeption der Website begonnen. An diesem Treffen hatte übrigens auch meine spätere Kollegin Gesine Schröder teilgenommen. Sie war mehrere Jahre lang in der Redaktion der VdÜ-Verbandszeitschrift Übersetzen tätig. Gesine äußerte bereits damals die Idee, eine Bibliografiedatenbank aufzubauen. Wir waren total beeindruckt von ihrer Expertise und haben sie dann gebeten, mit ins Babel-Boot zu steigen.

Und klar, es gibt bereits existierende Websites, die uns Inspiration geliefert haben, etwa der Perlentaucher. Wir fanden die Idee großartig, Neuigkeiten aus aller Welt zum selben Thema in kurzer Form zusammenzutragen. Wir haben darauf aufbauend einen eigenen Ansatz entwickelt, aus dem letztlich unsere Rubrik RundUmschau geworden ist. Auch unsere DÜF-Schwester TOLEDO hat uns Denkanstöße geliefert. Die TOLEDO-Reihen sind viel stärker international ausgerichtet. Wir haben uns entschlossen, eine enge Kooperation einzugehen, um uns gegenseitig zu bereichern.

Welche Ziele verfolgt Babelwerk und an wen außer uns Literaturübersetzende wendet sich die Plattform?

Babelwerk soll sowohl Nachwuchsübersetzer:innen wie erfahrenen Kolleg::innen als auch die interessierte und literaturaffine Öffentlichkeit ansprechen. Wir haben uns große Mühe gegeben, diesem breiten Zielpublikum zu entsprechen. Klar, die Handwerksrubrik und Babelkat dürften vor allem Übersetzer:innen und Übersetzungswissenschaftle:∙innen interessieren. Aber alle Konterbande-Bereiche, also die Essays, das ABC des Übersetzens und die RundUmschau sollen möglichst viele Leute mit unterschiedlichem Vorwissen ansprechen. Das ist schwierig, aber ich habe den Eindruck, dass uns das ganz gut gelingt.

Dieser Anspruch entspricht auch unserem Ziel: Neben dem Wunsch, das Wissen der Übersetzer:innen zu bündeln, abzubilden und neues Wissen in gemeinschaftlicher Arbeit zu generieren, möchten wir auch erreichen, dass die Öffentlichkeit auf die vielfältigen gesellschaftspolitischen und poetologischen Implikationen des Literaturübersetzens aufmerksam wird. Ich bin immer wieder erstaunt, wie politisch, kulturell, literarisch und historisch gebildet Übersetzer:innen sind – ja sein müssen, um ihre Arbeit gut zu machen.
Sie entwickeln – jeder für sich –  ganz eigene Perspektiven auf das kulturelle, historische und politische Geschehen. Wir wollen eine Möglichkeit schaffen, dass auch Nichtübersetzer∙innen dieses Wissen, diese neuen Perspektiven anzapfen können, und wir hoffen, dass die Zunft so die Wertschätzung erfährt, die sie verdient hat.

 

Wer hat an Babelwerk mitgearbeitet, gab es ein kleines Team beim DÜF oder eher viele kreative Köpfe, die ihre Ideen eingebracht haben? Und wie lief diese Arbeit ab?

Das Kernteam sind Gesine und ich. Außerdem stößt im Februar ein neues Redaktionsmitglied des DÜF hinzu, Martin Neusiedl. Das freut uns sehr! Gesine arbeitet nach wie vor ebenfalls als Übersetzerin und ich bin auch für andere DÜF-Programme verantwortlich. Da können wir zusätzliche Manpower gut gebrauchen.

Aber Babelwerk war von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt und wurde auch so umgesetzt. Wir sind stets im Austausch mit dem DÜF-Vorstand und unserem Geschäftsführer. Jürgen Jakob Becker, Thomas Brovot, Marie Luise Knott und Ulrich Blumenbach haben von Anfang an für Babelwerk gebrannt und steuern auch heute noch viele wertvolle Tipps bei. Mit ihnen bespreche ich auch neue Ideen.
Zudem hat Babelwerk seit knapp einem Jahr einen ehrenamtlichen Beirat. Dieser besteht aus Miriam Mandelkow, Douglas Pompeu, Uljana Wolf und meiner Kollegin Aurélie Maurin. Wir treffen uns alle paar Monate und beraten über neue Essaythemen, Entwicklungen in der Literaturübersetzerwelt und mögliche Korrespondent:innen oder Kooperationen.
Diese Treffen sind für mich ungemein wichtig: Ich bin Literaturwissenschaftlerin, keine Übersetzerin. Der Input, den ich von diesen in der Übersetzerszene äußerst engagierten Menschen erhalte, ist extrem wertvoll. Meine Aufgabe ist es dann, diesen Input zu kanalisieren, ihn umzusetzen und die Fäden in der Hand zu behalten.

Was erwartet die Besucher:innen von Babelwerk unter Magazin, Handwerk und Babelkat?

Das Konterbande-Magazin ist die kontemporäre, magazinartige Seite von Babelwerk. Thematisch wird aus praktischer Übersetzendenperspektive und der Übersetzendenszene berichtet. Zudem wird hier die aktuelle nationale und internationale Diskussion aufgefangen. Es erscheinen regelmäßig neue Essays zu aktuellen, gesellschaftsrelevanten, zeitgenössischen – manchmal auch über das eigene Fach hinausweisenden – Themen. Im weitesten Sinne geht es darum, einen Platz zu schaffen, an dem Übersetzer:innen Grundsätzliches frei und ausgiebig erörtern können.
Zu Konterbande gehört auch das ABC des Übersetzens. Hierbei handelt es sich um eine als Alphabet gestaltete Sammlung von Beiträgen zu wichtigen Schlagworten in der Literaturübersetzendenwelt, die von Übersetzer:innen verfasst wurden und die insbesondere Nachwuchsübersetzer:innen als interessante Lektüre dienen sollen, zum Beispiel „N wie Nachdichten“, „T wie Treue“, „E wie Etymologie“. Die RundUmschau wiederum soll die internationale Diskussion zur Poetik des Übersetzens abbilden. Hierfür haben wir Babelwerk-Korrespondent:innen auf der ganzen Welt engagiert, die der Plattform-Redaktion von der aktuellen Diskussion vor Ort  berichten.

Die Handwerksrubrik ist eher ein Service unsererseits für Literaturübersetzer∙:nnen. Wir bieten hier eine thematisch kategorisierbare Sammlung wichtiger Onlinepräsenzen zum Literaturübersetzen mit kurzer Beschreibung. Die Rubrik verweist unter anderem auf wichtige Sammlungen, Magazine, Zeitschriften, Tools und andere Projekte aus der Übersetzerwelt.

Babelkat ist mit Abstand der technisch anspruchsvollste Teil von Babelwerk. Hier geht es um die Erschließung und Aufbereitung bereits bestehender Wissensbestände. Herzstück von Babelkat ist eine beständig ausgebaute, durchsuchbare Bibliografie des Übersetzerwissens mit Filtern, thematischen Sammlungen und ausgefeilter Schlagwortsuche. Wie bei Bibliografiedatenbanken üblich, werden die Daten diverser Textsorten (Zeitschriftenartikel und Sammelbände, aber auch Nachrufe, Vor- und Nachworte, Rundfunkbeiträge, Videos, Blogeinträge etc.) aufgenommen und so für Recherchierende auffindbar.
Anspruch von Babelkat ist kein geringerer als der, das Gedächtnis der Branche zu stärken und die Ideen, Stimmen und Themenstränge zu bündeln und zu erschließen. Perspektivisch ist Babelkat darauf angelegt, nutzerbasiert zu wachsen, das heißt, es wird möglich sein, dass registrierte Nutzer∙innen selbst neue Bestände einpflegen und eigene Sammlungen anlegen, um damit zu arbeiten. Dieser Input kommt dann allen Nutzer∙innen zu Gute.

Nun ist Babelwerk erfolgreich gestartet. Wie soll sich das Projekt weiterentwickeln, wo sehen Sie es in ein oder zwei Jahren? Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Auf Babelwerk wird es immer wieder Neues zu entdecken geben. Wir veröffentlichen regelmäßig neue, spannende Essays. Auch das ABC des Übersetzens ist noch lange nicht abgeschlossen! Bislang fasst das ABC 27 Einträge, aber das ist nur der Anfang. Es soll ein ganz eigener, leicht zugänglicher und zugleich unterhaltsamer Wissensspeicher werden, bei dem man sich von Schlagwort zu Schlagwort liest, hier und da hängen bleibt und ins Überlegen kommt. Auch die RundUmschau wird weiter ausgebaut. Wir sind im Moment dabei, unser Korrespondentennetz zu vergrößern und so möglichst viele internationale Übersetzerszenen abdecken zu können.
Was Babelkat angeht, so leiten wir gerade den zweiten großen Schritt ein, nämlich, den Use:∙innen zu ermöglichen, selbst an der Datenbank mitzuarbeiten und mit ihr zu arbeiten. Das bedeutet jedoch einen enormen Aufwand, vor allem für unseren Programmierer, und wird noch etwas Zeit brauchen. Zudem sollen peu á peu noch weit mehr Bestände in Babelkat eingespeist werden.
Im Moment eruieren wir auch, inwieweit wir unveröffentlichte Volltexte in Babelkat präsentieren können. Zudem bin ich gerade in den ersten Vorbereitungen für eine neue Babelwerk-Rubrik, die sich einem bislang vollkommen unterrepräsentierten Übersetzungsthema widmet…Aber über ungelegte Eier soll man nicht reden. Ich kann interessierten Leser∙innen nur raten, uns auf den sozialen Medien zu folgen oder unseren Newsletter zu abonnieren. Hier informieren wir regelmäßig über neue Inhalte und Funktionen auf Babelwerk.

Vielen Dank, liebe Johanna Steiner, für diesen tiefen Einblick in Babelwerk, wir als Übersetzer:innen dürfen gespannt bleiben, wie sich dieses Projekt weiterentwickelt.

K.S.

 

 

 

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